Kommentierte Spiele
Rubinsteins hohe Schachkunst: Rubinstein - Salwe 1907
Vabanque - 27. Jul '19
Diese Partie von Rubinstein gefällt mir sogar noch ein wenig besser als sein berühmtes Spiel gegen Schlechter, das ich als 'Weihnachts-Special' kommentierte.
Hier führt Rubinstein nämlich vom 9. Zug bis zum Schluss konsequent einen einzigen Plan durch: die Beherrschung des Feldes c5. Selten sieht man eine Partie, in der sich ein roter Faden so von Anfang bis Ende durchzieht. Die Beherrschung des Schlüsselfeldes c5 führt - überflüssig, es bei Rubinstein noch zu betonen - schließlich zur Beherrschung des gesamten Brettes. Das ist nicht nur schönes und lehrreiches Schach, es ist wahrhaft erhabenes Schach, es ist die Hohe Schule der Schachstrategie.
Ich denke, dass sich ein bestimmter einzelner Schachfreund über diese Partie ganz besonders freuen wird, hoffe aber, dass sie auch bei etlichen anderen Schachfreunden Gefallen findet :-)































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Hier führt Rubinstein nämlich vom 9. Zug bis zum Schluss konsequent einen einzigen Plan durch: die Beherrschung des Feldes c5. Selten sieht man eine Partie, in der sich ein roter Faden so von Anfang bis Ende durchzieht. Die Beherrschung des Schlüsselfeldes c5 führt - überflüssig, es bei Rubinstein noch zu betonen - schließlich zur Beherrschung des gesamten Brettes. Das ist nicht nur schönes und lehrreiches Schach, es ist wahrhaft erhabenes Schach, es ist die Hohe Schule der Schachstrategie.
Ich denke, dass sich ein bestimmter einzelner Schachfreund über diese Partie ganz besonders freuen wird, hoffe aber, dass sie auch bei etlichen anderen Schachfreunden Gefallen findet :-)
Akiba Rubinstein Georg Salwe Lodz | Lodz RUE | 3 | 1908.10.?? | D33 | 1:0
8








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4
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1

b

c

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1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 c5 4. xd5 xd5 Anders als Schlechter (in der vor einiger Zeit hier gebrachten Partie gegen Rubinstein) nimmt Salwe hier den Isolani in Kauf. 5. Sf3 Sf6 6. g3 Sc6 7. Lg2 Durch diese heute noch verbreitete Methode soll der Isolani auf d5 zur Schwäche gestempelt werden. Rubinstein hat diese Spielweise häufig mit Erfolg angewandt; allerdings behandelten seine Gegner die Stellung nicht optimal, so auch hier, wo das fragwürdige Spiel des Schwarzen bereits im nächsten Zug beginnt. xd4?! 8. Sxd4 Db6 Diese frühe Gegeninitiative war der Sinn des vorigen Zuges. An und für sich ist das von Schwarz geistreich gespielt, scheitert jedoch an der unerbittlichen Logik von Rubinsteins Spiel. 9. Sxc6! Erstaunlich! Rubinstein erlaubt seinem Gegner, den Isolani loszuwerden. Aber Rubinsteins Konzept ist sehr tiefsinnig: beim Gegner entstehen 'hängende Bauern', die am stärksten sind, wenn sie nebeneinander stehen. Doch Rubinstein hat erkannt, dass er Salwe dauerhaft daran hindern kann, seinen c-Bauern vorzuschieben. So wird der schwarze c-Bauer ewig rückständig bleiben, und dies auf einer halboffenen Linie von Weiß. Dadurch wird nicht nur dieser Bauer selbst schwach werden, sondern vor allem (wie beim Isolani) das Feld davor, hier c5. Auf c5 werden sich weiße Figuren unvertreibbar festsetzen und die schwarze Stellung lähmen. Letzten Endes werden schwarze Bauern fallen. All dies führt uns Rubinstein in den nächsten 15 Züge in meisterhafter Weise vor. xc6 10. O-O Le7 11. Sa4! Wie reimte doch Kollege Kellerdrache mal hier? 'Springer am Rand, Sieg in der Hand'. Rubinstein beweist die 'Gültigkeit' dieses Spruchs jedenfalls hier. Der Zug ist der erste Schritt zur schlussendlichen Kontrolle von c5 durch Weiß. Db5 12. Le3 Der zweite Schritt zur Kontrolle von c5. O-O?! Schwarz entwickelt sich schematisch und macht überhaupt keine Anstalten, sich dem weißen Plan entgegen zu stemmen. Er hätte zumindest versuchen sollen, mittels Le6, Sd7 und Tc8 eventuell doch noch zu c6-c5 zu kommen. 13. Tc1 Der dritte Schritt zur Kontrolle von c5. Lg4 Durch den Angriff auf e2 scheinbar aktiv. 14. f3 Dies war der Sinn des schwarzen Manövers. Der Lg2 soll eingeschlossen werden. Rubinstein wird allerdings ein geniales Verfahren finden, den Läufer wieder zum vollen Leben zu erwecken. Le6 15. Lc5! Rubinstein tauscht die schwarzfeldrigen Läufer, um noch größere Kontrolle über c5 zu erlangen. Tfe8 16. Tf2!! Dieser auf den ersten Blick völlig mysteriös erscheinende Zug gefällt mir noch besser als 13. Lb5!! aus der Partie Rubinstein-Schlechter. Er macht dem Lg2 das Feld f1 frei, wo er nach späterem e3 zu großartiger Wirkung gelangen wird. Gleichzeitig wird der Turm dann bereits richtig stehen, um sowohl den Sa4 von der Verteidigung des weißen b-Bauern zu entbinden wie auch späterhin auf c2 die Turmverdopplung auf der c-Linie zu erreichen. Sd7 Schwarz kämpft nun doch um c5 und zwingt Weiß nun zum Tausch. 17. Lxe7 Txe7 18. Dd4! Auch dies ist ein Mehrzweckzug: Sofort wird schwarzes c5 wieder verhindert (wobei der Sa4 gedeckt bleibt!) und der Bauer b2 zum zweiten Mal geschützt, so dass nun Sc5 möglich wird. Zugleich steht die Dame auf dem Zentralfeld sehr stark. Tee8 Der Turm strebt nach c8. Möglicherweise ging Salwe nicht mit dem anderen Turm gleich nach c8, weil dann der a-Bauer hängt. Aber auf 19. Lf1 Nun geht es gemäß dem in der Anmerkung zum 16. Zug von Weiß skizzierten Plan weiter. Tec8 Für einen kurzen Moment gelingt es Schwarz, tatsächlich c6-c5 zu drohen. Doch Rubinsteins Timing ist perfekt. 20. e3 Nun hat der Läufer eine schöne lange Diagonale, wo er gleich die schwarze Dame bedroht, und der Tf2 kann nach c2 schwenken, wonach c5 endgültig verhindert sein wird. Db7 Die Dame entzieht sich der Bedrohung auf eine solche Weise, dass sie gleich prophylaktisch den rückständigen Bauern überdeckt. 21. Sc5! So tauscht Rubinstein die letzte schwarze Figur, die noch Einfluss auf c5 ausübt. Sxc5 22. Txc5 Blockade im Sinne von Nimzowitsch: der rückständige c-Bauer kann nun nie mehr vorrücken (vor allem wo der weiße Blockadeturm unvertreibbar steht; der schwarze Läufer hat die falsche Farbe und die Springer sind getauscht), so dass er als Angriffsobjekt festgelegt ist. Wir werden gleich sehen, wie Rubinstein den Angriff gegen den schwachen Bauern durchführt. Tc7 23. Tfc2 Db6 Es zeigt sich gleich, dass der letzte Versuch in a7-a5 bestand. 24. b4! Ohne die Hilfe der Bauern geht nichts; Weiß droht jetzt b5. a6 Verhindert b5, schafft aber eine zweite Schwäche (der Bauer ist auf a6 schwächer als er auf a7 war, weil besser angreifbar). 25. Ta5! Ein Blockadeturm ist nicht so elastisch wie ein Blockadespringer, aber hier zeigt er durchaus eine gewisse Agilität. Tb8 Ein Versuch von Gegenspiel. 26. a3 Deckt einfach den angegriffenen b-Bauern, und schon zeigt sich, dass Schwarz nicht mehr alle seine Damenflügelbauern halten kann. Ta7 27. Txc6! Dxc6 28. Dxa7 Ta8 29. Dc5 Db7 30. Kf2 Bevor Rubinstein zum Schlussangriff übergeht, sichert er zuerst die eigenen inneren Reihen; ein bemerkenswert umsichtiges Vorgehen. h5 Natürlich kann dieser 'Gegenangriff' nicht fruchten, da die schwarzen Figuren am Damenflügel gebunden sind. 31. Le2 g6 32. Dd6 Der a-Bauer ist jetzt zum dritten Mal angegriffen, aber der Hauptzweck des Zuges ist die Rückkehr des Turms nach c5, von wo aus er bei Gelegenheit nach c7 kommen soll. Verstärkung der Figurenstellung ist stets wichtiger als (weiterer) Bauerngewinn. Dc8 33. Tc5 Rubinstein verweigert Salwe auch nur das kleinste Gegenspiel. Db7 34. h4 Auf dem Königsflügel ebenfalls. a5 Salwe verliert schließlich die Geduld. 35. Tc7 Die schwarze Dame hat nun nur ein einziges Fluchtfeld. Typischerweise beherrscht Rubinstein das gesamte Brett. Db8 36. b5 a4 37. b6 Nun gewinnt natürlich einfach dieser Freibauer. Es droht b7 Ta7 Tc8+ mit Damengewinn! Ta5 38. b7 Schwarz gab auf.
freak40 - 27. Jul '19
Strategie in Vollendung
Vielen Dank!
Vielen Dank!
Vabanque - 27. Jul '19
Gern geschehen :-)
Übrigens, wie aus dem pgn-File ersichtlich, ist die Partie 1908 gespielt, nicht 1907, wie ich fälschlich in der Überschrift geschrieben habe :-(
Übrigens, wie aus dem pgn-File ersichtlich, ist die Partie 1908 gespielt, nicht 1907, wie ich fälschlich in der Überschrift geschrieben habe :-(
Kellerdrache - 28. Jul '19
Eine klasse Partie. Es habt beinahe den Anschein als habe Rubinstein die Partie genauso von Anfang bis Ende geplant. Die Pläne Salwes spielen bei dieser Begegnung überhaupt keine Rolle. Auf jeden Zug von Schwarz hat Rubinstein eine, meist ganz einfache Antwort. Selbst aus der beengten Lage am Königsflügel kommt er ganz elegant und ohne Anstrengung heraus.
Rubinstein war wirklich der König der Strategen. Vor allem ist dies eine Partie für jedes Lehrbuch. Als Anfänger unterschätzt man positionelle Schwächen wie einen zurückhängenden Bauern doch gerne. Hier wird gezeigt, dass das zum Gewinn der Partie schon völlig ausreichend sein kann, vor allem wenn der Gegner kein Gegenspiel hat.
Partien wie diese zeigen eben Rubinstein viel typischer als seine berühmte Unsterbliche, die die meisten Leute kennen und die doch eher ein taktisches Feuerwerk ist
Rubinstein war wirklich der König der Strategen. Vor allem ist dies eine Partie für jedes Lehrbuch. Als Anfänger unterschätzt man positionelle Schwächen wie einen zurückhängenden Bauern doch gerne. Hier wird gezeigt, dass das zum Gewinn der Partie schon völlig ausreichend sein kann, vor allem wenn der Gegner kein Gegenspiel hat.
Partien wie diese zeigen eben Rubinstein viel typischer als seine berühmte Unsterbliche, die die meisten Leute kennen und die doch eher ein taktisches Feuerwerk ist
Vabanque - 28. Jul '19
Rubinstein beherrschte als vollendeter Spieler beides: Strategie wie auch Taktik. Er bevorzugte jedoch strategisch angelegte Partien.
Doch auch in dieser Partie kommen viele kleinere taktische Wendungen vor, meist nur in den Kommentaren. Ganz ohne Taktik kann man strategische Ziele nur selten durchsetzen. Und letzten Endes muss die Strategie meist durch einen taktischen Durchbruch gekrönt werden, der in vorliegender Partie freilich ausfällt, da sich Salwe den Damengewinn nicht mehr zeigen lässt.
Den wesentlichen Punkt dieser Partie hast du betont, SF Kellerdrache: Schwarz hat kein Gegenspiel. Rubinstein weiß jegliches Gegenspiel effektiv zu verhindern. Bei aktivem Gegenspiel wären Bauernschwächen kaum von Bedeutung, wie viele Partien von Keres, Tal und Kasparov zeigen. Diese Spieler nahmen bewusst Bauernschwächen in Kauf, um zu überlegener Entwicklung und FIgurenspiel zu gelangen.
Aber hat man KEIN Gegenspiel, ist ein rückständiger oder isolierter Bauer meist tödlich.
Doch auch in dieser Partie kommen viele kleinere taktische Wendungen vor, meist nur in den Kommentaren. Ganz ohne Taktik kann man strategische Ziele nur selten durchsetzen. Und letzten Endes muss die Strategie meist durch einen taktischen Durchbruch gekrönt werden, der in vorliegender Partie freilich ausfällt, da sich Salwe den Damengewinn nicht mehr zeigen lässt.
Den wesentlichen Punkt dieser Partie hast du betont, SF Kellerdrache: Schwarz hat kein Gegenspiel. Rubinstein weiß jegliches Gegenspiel effektiv zu verhindern. Bei aktivem Gegenspiel wären Bauernschwächen kaum von Bedeutung, wie viele Partien von Keres, Tal und Kasparov zeigen. Diese Spieler nahmen bewusst Bauernschwächen in Kauf, um zu überlegener Entwicklung und FIgurenspiel zu gelangen.
Aber hat man KEIN Gegenspiel, ist ein rückständiger oder isolierter Bauer meist tödlich.
Kellerdrache - 29. Jul '19
Wer von uns hat sich nicht schon während einer Partie von einem Plan verabschieden müssen weil der böse Gegner einen anderweitig mit seinen eigenen Hinterhältigkeiten beschäftigt. Ich wünschte ich könnte einmal eine solche Partie spielen wo mein Gegenspieler einfach in Ruhe dem von mir entwickelten Plan folgt.
Dazu ein kleiner Gedankensprung: Als Robert Hübner und einige andere anregten es müsse doch für Schachpartien auch Urheberrechte geben gab Wolfgang Unzicker als Jurist dazu eine Stellungnahme (sinngemäß zitiert):
'Es ist durchaus denkbar, dass Urheberrechte geteilt werden wenn mehrere Personen gemeinsam an einem Werk arbeiten. Bei der Schachpartie scheitert das Konzept aber daran, dass hier zwei Personen nicht zusammen- sondern gegeneinander arbeiten. Im Zweifelsfall die Arbeit des jeweils Anderen sogar aktiv sabotieren'
Dazu ein kleiner Gedankensprung: Als Robert Hübner und einige andere anregten es müsse doch für Schachpartien auch Urheberrechte geben gab Wolfgang Unzicker als Jurist dazu eine Stellungnahme (sinngemäß zitiert):
'Es ist durchaus denkbar, dass Urheberrechte geteilt werden wenn mehrere Personen gemeinsam an einem Werk arbeiten. Bei der Schachpartie scheitert das Konzept aber daran, dass hier zwei Personen nicht zusammen- sondern gegeneinander arbeiten. Im Zweifelsfall die Arbeit des jeweils Anderen sogar aktiv sabotieren'
Oli1970 - 03. Aug '19
Eine grandios gespielte Partie mit vielen starken Zügen Rubinsteins, aber auch ein paar „Einfachheiten“, die dem Amateur (mir :-) ) nicht naheliegen, obwohl sie naheliegend sind. So zum Beispiel das Freispielen des Lg2 über sein Ausgangsfeld, was ich oft gar nicht erst erwäge, da es sich um einen gefühlten Rückschritt handelt, oder die Absicherung des Königsflügels durch 30. Kf2 nebst Le2, obgleich gerade noch am Damenflügel die Action tobte. Die wie üblich gute Kommentierung erlaubte es, der Partie ohne Stolpersteine folgen zu können. Danke!
Erstaunt hat mich Salwes Niedergang. Okay, die Eröffnungsbehandlung war nicht auf der Höhe moderner Theorie, aber: Er machte Entwicklungszüge, die zunächst gar nicht schlecht aussehen. Vabanque beschreibt es als schematische Entwicklung. Normalerweise sollte ein Spieler danach mit einem halbwegs soliden Aufbau dastehen. Ich tippe darauf, dass Rubinstein auf die entstehende Struktur gut vorbereitet war - Vabanque erwähnte ja Rubinsteins Erfolge damit -, und Salwe dessen Plan schlicht nicht erkannte.
Tja, das ist auch wieder mal das, wo ich mich nur am Kopf kratzen kann. Woher ziehe ich die Erkenntnis, dass sich alles um c5 dreht, wenn mir der Partiekommentar nicht zur Verfügung steht, weil ich live am Brett sitze? Das Erkennen der Pläne in unbekannten Gefilden ist schwer. Also spielt man schematische Entwicklungszüge, hofft aufs Beste - und wird überrollt. :-)
Erstaunt hat mich Salwes Niedergang. Okay, die Eröffnungsbehandlung war nicht auf der Höhe moderner Theorie, aber: Er machte Entwicklungszüge, die zunächst gar nicht schlecht aussehen. Vabanque beschreibt es als schematische Entwicklung. Normalerweise sollte ein Spieler danach mit einem halbwegs soliden Aufbau dastehen. Ich tippe darauf, dass Rubinstein auf die entstehende Struktur gut vorbereitet war - Vabanque erwähnte ja Rubinsteins Erfolge damit -, und Salwe dessen Plan schlicht nicht erkannte.
Tja, das ist auch wieder mal das, wo ich mich nur am Kopf kratzen kann. Woher ziehe ich die Erkenntnis, dass sich alles um c5 dreht, wenn mir der Partiekommentar nicht zur Verfügung steht, weil ich live am Brett sitze? Das Erkennen der Pläne in unbekannten Gefilden ist schwer. Also spielt man schematische Entwicklungszüge, hofft aufs Beste - und wird überrollt. :-)
esg1851 - 04. Jul '20
Tolle partie man kann (muss) viel von den alten meistern lernen !!