Kommentierte Spiele
Große Partien ... (XXX): Bogoljubov - Capablanca 1928
Vabanque - 16. Jun '14
Der Kubaner José Raoul Capablanca, der von 1921-27 Weltmeister war, nimmt unter den großen Spielern in gewisser Weise eine Sonderstellung ein. Als Dreijähriger lernte er Schach durch bloßes Zuschauen und gewann die erste Schachpartie seines Lebens gegen seinen Vater. Auch später errang er seine Erfolge mit der gleichen Mühelosigkeit, ohne jemals ernsthaft trainiert zu haben. Er war sehr wohl in der Lage, langzügige und komplizierte Varianten korrekt durchzurechnen, jedoch bevorzugte er 'einfache' Stellungen, in denen scheinbar 'nichts los' war. Er verstand es, die Figuren intuitiv auf die richtigen Felder zu setzen, wobei sich die 'langweilige' Stellung schnell zu seinen Gunsten verwandelte, wie durch Zauberhand.
So geschah es auch in der folgenden Partie. Wenn man beim Nachspielen den Eindruck gewinnt, der Weißspieler müsse ein schwacher Spieler gewesen sein, so sollte man dazu wissen, dass Bogoljubow das Turnier, in dem diese Partie gespielt wurde, gewonnen hat, und Capablanca auf den 2. Platz verwies (vor Euwe, Rubinstein, Nimzowitsch, Réti und Tartakower).































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So geschah es auch in der folgenden Partie. Wenn man beim Nachspielen den Eindruck gewinnt, der Weißspieler müsse ein schwacher Spieler gewesen sein, so sollte man dazu wissen, dass Bogoljubow das Turnier, in dem diese Partie gespielt wurde, gewonnen hat, und Capablanca auf den 2. Platz verwies (vor Euwe, Rubinstein, Nimzowitsch, Réti und Tartakower).
Efim Bogoljubov Jose Raul Capablanca Bad Kissingen | Bad Kissingen DEU | 9 | 1928.08.21 | E12 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 b6 4. Sc3 Lb7 5. Lg5 Le7 6. e3 Se4 7. Lxe7 Dxe7 8. Sxe4 Lxe4 9. Sd2 Lb7 10. Le2 Natürlich kann jetzt Schwarz auf g2 keinen Bauern gewinnen, da Weiß ihn mit Tg1 nebst Txg7 vorteilhaft zurückerobern könnte. Dg5 11. Lf3 Weiß spielt hier und in der Folge auf Abtausch, um ein Remis zu erreichen. Gegen Capablanca war das eine völlig verfehlte Strategie, wie er in dieser und auch etlichen anderen Partien bewiesen hat. Lxf3 12. Dxf3 Sc6 13. Dg3 Dxg3 14. xg3 Ke7 Natürlich ist die Stellung völlig ausgeglichen; man wäre sogar geneigt, dem weißen Spiel wegen seines Raumvorteils und der halboffenen h-Linie leicht den Vorzug zu geben. In einer Begegnung zwischen Top-Spielern sollte jedenfalls ein baldiges Remis zu erwarten sein. Es zeigt sich jedoch, dass Bogoljubov mit seiner Stellung nichts anzufangen weiß und keinen rechten Plan findet, während eine von Capablancas Stärken gerade das Spiel in ausgeglichenen Stellungen war. 15. g4 h6 Entlastet den Th8 von der Deckung des h-Bauern. 16. a3 a6 Beginn einer Aktion am Damenflügel. 17. Ke2 Thb8 18. Se4 b5 19. c5 Die b- Linie darf Weiß dem Schwarzen nicht öffnen, wodurch der weiße b-Bauer zum bequemen Angriffsobjekt würde. d5! 20. cd6+ 20. Sc3 b4 würde wieder zur Öffnung der b- Linie führen, und 20. Sd2 e5 sieht eigentlich auch gut für Schwarz aus. Am besten erscheint Sg3, denn nach dem Textzug öffnet sich für Schwarz die c-Linie, aus der dieser gewaltigen Nutzen ziehen wird. xd6 Die Stellung wäre immer noch ausgeglichen gewesen, wenn Weiß jetzt Thc1 oder Tac1 gespielt hätte. Aber plötzlich fasst er den unglücklichen Plan eines Spiels am Königsflügel. 21. f4?! Tc8 22. f5 Sa5 Das Eindringen nach c2 muss Weiß jetzt natürlich verhindern. 23. Kd3 Sc4 Soll Weiß den b-Bauern jetzt vorziehen oder decken? 24. Tab1?! Plötzlich spielt Weiß nach seinem forschen und unmotivierten f-Bauern- Vorstoß wieder furchtsam. Er musste unbedingt b3 versuchen. Freilich, nach Sa5 hängt der b-Bauer dann erneut, aber die weiße Stellung nach 24. b3 Sa5 25. Tab1 ist trotzdem definitiv besser als in der Partie, da der Sa5 ersmal ausgesperrt ist. Und falls Schwarz auf 24. b3 d5!? 25. Sc5 Se5+ versucht, so ist das Doppelturm-Endspiel nach 26. dxe5 Txc5 27. Thc1 trotz der schlechteren Bauernstellung für Weiß doch sicher zu halten. (Auch gegen Capablanca?) d5 25. Sc3? Warum spielt Weiß hier nicht den offensichtlichen Zug Sc5? Sicher, nach 25. Sc5 e5 steht Schwarz gut, aber immerhin hat Weiß doch auch einen Springer-Stützpunkt. In der Partie hat er bald überhaupt nichts mehr. Tc6 Die Turmverdopplung auf der c-Linie wird vorbereitet. 26. xe6 xe6 27. g5 Zwecklos, aber Weiß sucht nach irgendeinem Gegenspiel. Schwarz drohte sogar mit seinem König nach g5 zu laufen und ggf. den weißen g-Bauern abzuholen. xg5 28. Th5 Kf6 29. Th3 Tac8 Jetzt droht Sxa3. 30. Sa2 a5 Auch das Feld b4 nimmt er dem Weißen. 31. Tf3+ Kg6 Der schwarze König steht hier vollkommen sicher. Quasi mühelos, ohne irgendetwas Besonderes zu machen, hat Schwarz eine strategische Gewinnstellung erreicht. 32. g4 Sd6 Plötzlich ist auch das Feld e4 für den schwarzen Springer erreichbar. Außerdem droht Tc2. 33. Sc3 b4 34. xb4 xb4 35. Sd1 Sehr hübsch wäre auch das Ende nach 35. Sa2, nämlich Se4! 36. Sxb4 Tc4 37. Sa2 Tc2 (droht Td2 matt) 38. Td1 Txb2 39. Sc1 Tc3 matt. Tc2 36. Tf2 b3! Dank dieses Bauern kann sich der Turm auf dem vorgeschobenen Posten c2 halten. Weiß kann nicht tauschen wegen der Bauerngabel. Eigentlich hat Weiß nun so gut wie gar keinen vernünftigen Zug mehr und könnte aufgeben. Aber ein Glück für uns, dass er es nicht getan hat, denn so werden wir noch Zeuge eines fast studienartigen Mattfinales. 37. Ta1 Se4 Wieder ist kein Turmtausch möglich, denn nach Txc2 Txc2 wäre das Matt auf d2 nicht mehr zu verhindern. 38. Te2 T8c6! Mit diesem Zug stellt Schwarz eine Pseudo- Zugzwang-Situation her: kein weißer Stein, mit Ausnahme des Ta1, kann ziehen! Die weißen Bauern sind blockiert, der weiße König ist von allen Seiten gut eingepackt, der Te2 kann nicht nach e1 wegen Td2#, er kann sich aber auch nicht auf der 2. Reihe bewegen, da alle Felder unter schwarzer Kontrolle sind, und er kann nicht auf c2 nehmen, da Schwarz mit undeckbarem Matt zurückschlägt. Der Sd1 darf seinen Platz ebenfalls nicht verlassen, da dann ein Matt in 2 durch Tc3+ (welcher Turm ist egal) bxc3 Txc3# (der andere Turm) erfolgt. Also macht Weiß noch ein paar Züge mit dem Ta1, während Schwarz in aller Ruhe das Mattnetz schließt. 39. Tb1 e5! Hierauf hätte im vorigen Zug noch Ta6+ folgen können. Daher hat Schwarz zuerst Tc6 gespielt. Schlägt Weiß den Bauern mit 40. dxe5, so folgt T6c4! mit der Drohung Sc5#, die nur durch 41. Txc2 zu verhindern ist (aber darauf folgt wieder Txc2 nebst Td2#). 40. Ta1 Jetzt hätte der weiße König nach Sc5+ 41. dxc5 e4+ noch das Feld d4, also nimmt ihm Schwarz dieses zuerst: T6c4! 41. Ta5 Es ist völlig egal, was Weiß noch spielt. Sc5+! Jetzt funktioniert es: im nächsten Zug ist e5-e4 Matt. Weiß gab auf. Golombek konstatiert: 'Die Schlussstellung bietet, wie so oft bei Capablanca, ein erfreuliches geometrisches Bild.' In der Tat.
patzer0815 - 16. Jun '14
Diese Partie gefällt mir sehr gut. Heute haben viele Spieler (v.a. auf Amateurebene) mitunter oft eine große Abneigung gegen solche Stelleungen, in den "nichts los" ist. Mir gefallen sie sehr, weil man hier auch meist deutlich mehr Potential drin steckt als man oft denkt.
Vabanque - 16. Jun '14
Ich muss ehrlich zugeben, ich mag solche Stellungen auch nicht spielen. Vor allem, weil ich dann meist derjenige bin, der sie verdirbt, weil ich in solchen Stellungen auch keinen Plan finde bzw. auch gar nicht die Notwendigkeiten erkenne. Ich hätte bei dieser Partie in der Stellung nach dem 14. bzw. sogar noch 20. Zug auch kein Potential gesehen. Und wenn ich gezwungen gewesen wäre, sie weiterzuspielen, hätte ich wahrscheinlich verloren, egal ob ich hier nun Schwarz oder Weiß gehabt hätte.
Umso mehr bewundere ich aber die Kunst Capablancas, aus dieser leblosen Stellung etwas zu machen.
Aber in den nächsten Folgen kommen garantiert wieder Partien, in denen was 'los ist' :))
Umso mehr bewundere ich aber die Kunst Capablancas, aus dieser leblosen Stellung etwas zu machen.
Aber in den nächsten Folgen kommen garantiert wieder Partien, in denen was 'los ist' :))
patzer0815 - 16. Jun '14
Carlsen, den ich menschlich nicht so mag, ist in solchen Stellung, vor allem im Endspiel sehr erfolgreich. Mir gefallen solche Stellungen auch sehr gut. Manchmal tut es mir auch ein bisschen leid für die Mitspieler, die mitunter meinen man will sie ärgern und spielt unnötig weiter (in Siegen beim Spieltreffen gab es da auch eine Seeschlange). In solchen Stellungen sehe ich einfach viele tolle Möglichkeiten - und in der Regel auch eine Erfolgsqoute von 70%.
Vabanque - 17. Jun '14
Wahrscheinlich hast du Geduld - eine Eigenschaft, die mir fehlt ...
Ja, wenn es einen zeitgenössischen Spieler gibt, dessen Stil an Capablanca erinnert, dann ist es auf jeden Fall Carlsen.
Er ist sicher ein Sonderling, aber kann man über jemanden, den man persönlich gar nicht kennt, menschlich irgend etwas sagen?
Ja, wenn es einen zeitgenössischen Spieler gibt, dessen Stil an Capablanca erinnert, dann ist es auf jeden Fall Carlsen.
Er ist sicher ein Sonderling, aber kann man über jemanden, den man persönlich gar nicht kennt, menschlich irgend etwas sagen?
patzer0815 - 17. Jun '14
Natürlich ist es nicht zwingend deckungsgleich wie man ist und wie man sich der Öffentlichkeit gibt. Aber mit manchen Auftritten wird man nicht warm, auch wenn die Person dahinter ganz anders sein mag. Daniela Katzenberger mag beispielsweise privat ein nette und liebe Person sein, aber mit ihr werde ich menschlich auf nicht warm, weil sie sich dafür hergibt auf diese Weise finaziell erfolgreich zu sein, wie sie es tut.
Vabanque - 17. Jun '14
Ich weiß zwar, was du meinst, aber einen Vergleich von Carlsen mit Katzenberger halte ich trotzdem für ein wenig weit hergeholt ;)
Die Katzenberger gehört für mich in die Kategorie 'Berühmtheit ohne (oder mit wenig) Leistung' (meine 'Favoritin' in dieser Hinsicht ist aber Paris Hilton), während man das von Carlsen sicher nicht behaupten kann.
Wenn man von dem ausgeht, was man über die großen Spieler so weiß, also was sie getan oder gesagt haben, dann wird man wohl die meisten nicht mehr mögen. Fischer mit seinen Allüren und seinen Äußerungen, Aljechin mit seinem Alkoholismus und seinen antisemitistischen Schriften (die zwar wahrscheinlich nur Opportunismus waren, aber trotzdem), Capablanca und Kasparov mit ihrer grenzenlosen Überheblichkeit stehen da sicher an der Spitze. Aber auch viele andere Spieler kommen jetzt nicht gerade sympathisch rüber. Sollte man sich jetzt nur noch mit den Partien derer, die menschlich untadelig waren bzw. sind, beschäftigen? Keres, Tal, Smyslov, Aronian wurden ja schon genannt. In der Gegenwart stünden da noch Anand und Gelfand, in der Vergangenheit Spassky, Réti, Spielmann und Tartakower zur Debatte.
Die Katzenberger gehört für mich in die Kategorie 'Berühmtheit ohne (oder mit wenig) Leistung' (meine 'Favoritin' in dieser Hinsicht ist aber Paris Hilton), während man das von Carlsen sicher nicht behaupten kann.
Wenn man von dem ausgeht, was man über die großen Spieler so weiß, also was sie getan oder gesagt haben, dann wird man wohl die meisten nicht mehr mögen. Fischer mit seinen Allüren und seinen Äußerungen, Aljechin mit seinem Alkoholismus und seinen antisemitistischen Schriften (die zwar wahrscheinlich nur Opportunismus waren, aber trotzdem), Capablanca und Kasparov mit ihrer grenzenlosen Überheblichkeit stehen da sicher an der Spitze. Aber auch viele andere Spieler kommen jetzt nicht gerade sympathisch rüber. Sollte man sich jetzt nur noch mit den Partien derer, die menschlich untadelig waren bzw. sind, beschäftigen? Keres, Tal, Smyslov, Aronian wurden ja schon genannt. In der Gegenwart stünden da noch Anand und Gelfand, in der Vergangenheit Spassky, Réti, Spielmann und Tartakower zur Debatte.
patzer0815 - 17. Jun '14
Auf eine ähnlich Stufe wollte ich Carlsen und Frau Katzenberger - auch indirekt - nicht. Da sehe ich auch große Unterschiede. Ebenso wie zwischen Frau katzenberger und Frau Poth, die man auf den ersten Blick gut vergleichen könnte. Allersdings hat Letztere immer wieder bewiesen, dass sie sich nur dumm gestellt hat.
Dass man von dieser persönlichen Sympathie die Auswahl der Partien abhängig machen soll, finde ich auch abwägig. Über Carlsens Stil und Kampfgeist habe ich mich positiv geäußert, auch wenn er menschlich meiner Ansicht nach nicht an Spieler wie beispielsweise Anand herankommt.
Dass man von dieser persönlichen Sympathie die Auswahl der Partien abhängig machen soll, finde ich auch abwägig. Über Carlsens Stil und Kampfgeist habe ich mich positiv geäußert, auch wenn er menschlich meiner Ansicht nach nicht an Spieler wie beispielsweise Anand herankommt.
pirc_ - 17. Jun '14
die Tendenz der menschlichen Bewertung von anand und carlsen kann ich nachvollziehen, wobei man vorsichtig sein sollte, da man meist nur das mitbekommt, was von den medien transferiert wird...ich habe beide noch nicht persönlich kennengelernt
patzer0815 - 17. Jun '14
Das stimmt natürlich. Aber es geht mir, wie gesagt, nur um das Bild das sie von sich selbst in der Öffentlichkeit machen. Und auch wenn jemand privat ein lieber Kerl ist, finde ich es nicht gut wenn er öffentlich allzu arrogant auftritt.
Vabanque - 17. Jun '14
Naja, Carlsen ist ja noch jung ... als 40jähriger kommt er vielleicht ganz anders rüber ... man darf auch nicht vergessen, dass Anand auch schon sehr viel mehr menschliche Reife und Lebenserfahrung hat. Wobei der freilich auch schon als junger Mensch sympathisch wirkte.