Kommentierte Spiele
Ding Liren - Inarkiev 2015
Vabanque - 01. Jul '19
Der Chinese Ding Liren befindet sich nun schon eine ganze Weile auf Platz 3 der Weltrangliste, ganz dicht hinter C&C. Also höchste Zeit, sich doch auch mal einige seiner Partien zu Gemüte zu führen. Sein Sieg gegen Aronian, den er 2013 im Alekhine Memorial landen konnte, gehört allein schon von den Stellungsbildern, die aufs Brett kamen, zu den erstaunlichsten Partien, die ich je gesehen habe. Hier möchte ich aber zunächst eine leichter verständliche Partie vorstellen, in der Ding den Kirgisen Inarkiev mit einer ebenso originellen wie hübschen Kombination überwältigt.































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Ding Liren Ernesto Inarkiev World Cup | Baku AZE | 2.1 | 2015.09.14 | D35 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. c4 e6 2. Sc3 d5 3. d4 Sf6 4. xd5 xd5 5. Lg5 c6 6. e3 Le7 7. Ld3 Sbd7 8. Sge2 Eine klassische Abtauschvariante im Damengambit, die allerdings ab hier von beiden Partien weniger klassisch behandelt wird, weswegen auch der normalerweise in diesem Abspiel 'obligatorische' Minoritätsangriff am Damenflügel ausfällt. Sh5 9. Lxe7 Dxe7 10. Dd2 Sb6 11. f3 g6 12. O-O O-O 13. Tae1 Statt auf das abgenudelte Vorgehen des b-Bauern (den erwähnten Minoritätsangriff) setzt Weiß auf Spiel im Zentrum und (wie so oft daraus resultierend) am Königsflügel. Le6 14. e4 xe4 15. xe4 Nun hat Weiß ein 'hängendes' Bauernpaar im Zentrum - gewiss kein häufiger Anblick. Die ganze Spielführung des Chinesen ist von beeindruckender Originalität und Frische. Tad8 16. b3 Um dem Schwarzen das Feld c4 zu nehmen. Lg4 17. De3?! Vielleicht nicht am präzisesten, falls nun f5 gut war. f6?! 18. a4 Db4 Ob die durch den letzten weißen Zug auf b4 entstandene Schwäche diesen Damenausfall wirklich rechtfertigt? 19. Lc2 Deckt immerhin vorsorglich b3. Lxe2 Ob das nötig war? 20. Sxe2 Sg7 21. Td1 De7 Eben. 22. Dc3 Nun hat Weiß eine bequeme Stellung erlangt; er muss sich über keine potenzielle Felder- oder Bauernschwäche mehr Gedanken machen. Der weiße Damenzug ist vielseitig: er bringt die Dame aus ihrer ungedeckten Stellung, deckt außerdem b4, verhindert a5 (und behält sich selber a5 vor), hat ein Auge auf c5, und überdeckt auch noch einmal d4. a6 Vielleicht fürchtete Schwarz a5 nebst ggf. a6 mit Zersplitterung seiner Bauern am Damenflügel. Nun jedoch wird er sich bald einer viel ernsteren Gefahr gegenüber sehen. 23. Sf4! Das erste Signal zur Attacke am Königsflügel! Kh8 24. Dh3! Blitzschnell ist die Drohung Sxg6+ da. Df7 25. Td3 Das Aufrücken der Türme auf die 3. Reihe ist meist ebenfalls ein Gefahrensignal für den gegnerischen König. Eventuell war aber sofortiges b4 genauer (siehe auch die Anmerkung zum folgenden Zug). Sc8?! Der möchte nach e7, seinem Herrn und Meister zu Hilfe zu eilen.
Vermutlich war g5!? hier besser als im nächsten Zug, da nun dem weißen Läufer das Feld b3 noch nicht zur Verfügung steht.
26. b4!? Macht dem Läufer das erwähnte Feld frei. g5?! Se7 scheint nicht nur konsequent, sondern auch besser, wenn man die Partiefolge ansieht. Nun lässt Ding seinem Gegner keine Chance mehr. Die nun folgende Kombination ist bemerkenswert.
27. Lb3! De8 Es gibt kein anderes Feld, da die Dame ja g6 gedeckt halten muss. 28. Dh6!! Ding lässt f4 und e4 zugleich einstehen. Damit hatte Inarkiev wohl kaum gerechnet. Dxe4 xf4 führt zur zwangsläufigen Folge 29. Th3 Dxe4 (das Einzige gegen das Matt auf h7) 30. Txf4 De1+ 31. Tf1 De4 und scheinbar muss sich Weiß mit Zugwiederholung zufrieden geben (wie ich bei meiner ersten, flüchtigen Analyse der Partie auch dachte). Es gibt aber ein raffiniertes Gewinnmanöver: 32. Th4 Dd3 33. Lc4!! Dc2 34. La2! und nun hat Schwarz tatsächlich keine wirksame Verteidigung gegen Lb1 mehr. Tg8 (der letzte Versuch) 35. g3! nebst Lb1. Gigantisch! Hat Ding dies bei 28. Dh6 alles im Detail gesehen? Jedenfalls hat Inarkiev diese Variante sicher nicht ohne Grund vermieden (ohne jedoch damit besser zu fahren).
29. Th3 Se7 Wegen der Drohung Sg6+ erzwungen. 30. Lc2!! Wieder ein Glanzzug (vermutlich von Inarkiev übersehen). Durch das Opfer, das angenommen werden muss, wird die Absperrung der schwarzen Dame von h7 erreicht. Dxc2 31. Sd3 Nun fällt h7 mit tödlicher Wirkung. Kg8 32. Dxh7+ Kf7 33. Se5+! Dieser Abzug gewinnt die Dame. Ke6 34. Dxc2 xe5 Nun hat Weiß entscheidenden Materialvorteil. 35. Th6+ Kd7 36. Txf8 Txf8 37. xe5 Se6 Weiterspielen ist eigentlich sinnlos. 38. Tf6 Te8 39. Dh7
freak40 - 01. Jul '19
Tolle Partie!
Ich bin ein überzeugter d4 Spieler....da past die Partie/erfreue ich mich....
Die feinen Züge hätte ich wohl nur teilweise gefunden
Ich bin ein überzeugter d4 Spieler....da past die Partie/erfreue ich mich....
Die feinen Züge hätte ich wohl nur teilweise gefunden
Kellerdrache - 02. Jul '19
Eine schöne Partie zum Ende der kreativen Pause. So simpel wie die eigentliche Angriffsidee war (Verdopplung auf der h-Linie), so brillant wurden die Verteidigungsresourcen des Schwarzen bekämpft. Vor allem 30. Lc2 ist schon der Hammer, da er ja auf den ersten Blick nicht mal die Dame von h7 ablenkt.
Inarkievs Eröffnungsbehandlung hab ich allerdings in weiten Teilen nicht verstanden. 11...g6 in Verbindung mi 13.Le6 macht für mich keinen Sinn und auf 18...Db4 hast du ja bereits hingewiesen. Trotzdem natürlich von Liren konsequent und ideenreich ausgenutzt
Inarkievs Eröffnungsbehandlung hab ich allerdings in weiten Teilen nicht verstanden. 11...g6 in Verbindung mi 13.Le6 macht für mich keinen Sinn und auf 18...Db4 hast du ja bereits hingewiesen. Trotzdem natürlich von Liren konsequent und ideenreich ausgenutzt
Vabanque - 02. Jul '19
Ja stimmt, für einen 2700er behandelt Inarkiev die Eröffnungsphase geradezu erstaunlich planlos. Vermutlich wusste er nicht so recht was mit der Stellung anzufangen, da sie nicht in die gängigen positionellen Schemata passt ... eigentlich sehr tröstlich, dass es auch diesen Leuten manchmal nicht anders geht als uns!
Noch raffinierter, wenn auch deutlich komplizierter als die Textfortsetzung finde ich allerdings die von mir zum 28. Zug von Schwarz angegebene Variante. Wie Weiß hier die Zugwiederholung vermeidet, ist ja nun wirklich alles andere als offensichtlich (wie ich auch im Kommentar schrieb, war mir das beim ersten Nachspielen keineswegs klar!). Aber auch hier ist genau wie in der Textfortsetzung die schließliche Eroberung von h7 der Schlüssel.
Die ganze mit 28. Dh6 eingeleitete Kombination ist abseits jeglicher Schablone und zeigt (ebenso schon wie die kreative Eröffnungsbehandlung) die frische, unverbrauchte Denkweise des Chinesen.
Noch raffinierter, wenn auch deutlich komplizierter als die Textfortsetzung finde ich allerdings die von mir zum 28. Zug von Schwarz angegebene Variante. Wie Weiß hier die Zugwiederholung vermeidet, ist ja nun wirklich alles andere als offensichtlich (wie ich auch im Kommentar schrieb, war mir das beim ersten Nachspielen keineswegs klar!). Aber auch hier ist genau wie in der Textfortsetzung die schließliche Eroberung von h7 der Schlüssel.
Die ganze mit 28. Dh6 eingeleitete Kombination ist abseits jeglicher Schablone und zeigt (ebenso schon wie die kreative Eröffnungsbehandlung) die frische, unverbrauchte Denkweise des Chinesen.
Kellerdrache - 03. Jul '19
Ja, ich finde es es auch immer erstaunlich wenn Spieler aus den obersten Rängen, die in ihren normalen Partien eine traumhafte Sicherheit an den Tag legen, in ungewohnten Stellungen massiv ins Schwimmen geraten. Selbst Carlsen ist es ja in einer Partie gegen Rapport so ergangen.
Da geht es dann weniger um Eröffnungs(un-)kentnisse sondern um sozusagen Orientierungsschwierigkeiten im Mittelspiel. Man findet die gewohnten Motive und Strukturen nicht und schon fällt die Spielstärke um 100-200 Punkte.
Es ist übrigens auch meine eigene Erfahrung mit ungewohnten Eröffnungen, dass ich in der Regel aus der Eröffnung an sich ganz gut raus komme, dann aber Probleme habe die strategischen Stärken und Schwächen zu identifizieren.
Da geht es dann weniger um Eröffnungs(un-)kentnisse sondern um sozusagen Orientierungsschwierigkeiten im Mittelspiel. Man findet die gewohnten Motive und Strukturen nicht und schon fällt die Spielstärke um 100-200 Punkte.
Es ist übrigens auch meine eigene Erfahrung mit ungewohnten Eröffnungen, dass ich in der Regel aus der Eröffnung an sich ganz gut raus komme, dann aber Probleme habe die strategischen Stärken und Schwächen zu identifizieren.
pirc_ - 04. Jul '19
11. ..g6: mein alter Schachkollege R. hätte zu Schwarz gesagt: "Spielst du nie Bauern g-f-h vor König nach vorne, sonst verlierst du Spiel...Bauern müssen bleiben wo sind, ist viel besser"
17...f6: Roman hätte gesagt: "Hab ich schon erklärt, vielleicht besser nächstes mal in zweite Mannschaft spielst!"
Ich kann wenig mit dieser Eröffnung anfangen, aber die Grundlagen der Eröffnung sagen mir, dass Schwarz hier nicht gut spielt und es dem Chinesen leicht macht. Vom Gefühl her glaub ich, er wollte so viel wie möglich tauschen und sich ins Endspiel retten mit 3 gegen 2 Bauerninseln.
Ab Zug 23 finde ich, spielt Weiß wirklich genial...nicht umsonst hatte er letztes Jahr kein Spiel verloren...ihn hätte R. sich an Brett 1 bei uns gewünscht :-)
Schön kommentiert lieber Vabanque :-)
17...f6: Roman hätte gesagt: "Hab ich schon erklärt, vielleicht besser nächstes mal in zweite Mannschaft spielst!"
Ich kann wenig mit dieser Eröffnung anfangen, aber die Grundlagen der Eröffnung sagen mir, dass Schwarz hier nicht gut spielt und es dem Chinesen leicht macht. Vom Gefühl her glaub ich, er wollte so viel wie möglich tauschen und sich ins Endspiel retten mit 3 gegen 2 Bauerninseln.
Ab Zug 23 finde ich, spielt Weiß wirklich genial...nicht umsonst hatte er letztes Jahr kein Spiel verloren...ihn hätte R. sich an Brett 1 bei uns gewünscht :-)
Schön kommentiert lieber Vabanque :-)
Vabanque - 04. Jul '19
Hallo SF pirc_, schön dass du mal wieder im Forum aktiv bist :-)
Tja, ich hatte mich schon auch gewundert, dass Schwarz hier so einfach die Bauerndeckung vor seinem König schwächt ... wobei man gerechterweise sagen muss, dass er g6 ja vor der Rochade spielt, vermutlich um evtl. Sg7 folgen zu lassen ... dazu kommt es dann nicht, dafür erfolgt die Rochade, weil er nicht weiß, wohin sonst mit dem König ... dann natürlich auch noch den f-Bauern vorzuschicken ist freilich komisch ... er sah wohl keine Gefahr, und es kann gut sein, dass er auf ein besseres Endspiel setzte ... nur es kam nicht zum Endspiel!
Ich muss sagen, dass es mir mit Weiß mulmig gewesen wäre, mit so einer Bauernstruktur (hängende Bauern im Zentrum) zu spielen ... immer wenn ich so was Ähnliches hatte, wurden die Bauern schwach und ich verlor ... dazu noch die schwachen Bauern am Damenflügel ... nur dass Schwarz das zu keinem Zeitpunkt wirklich ausnutzen konnte.
Ja, vom 23. Zug an ist das weiße Spiel bestechend, und natürlich der Grund, warum ich diese Partie überhaupt ausgewählt habe :-)
Danke für die Kommentare zum Kommentar :-)
Tja, ich hatte mich schon auch gewundert, dass Schwarz hier so einfach die Bauerndeckung vor seinem König schwächt ... wobei man gerechterweise sagen muss, dass er g6 ja vor der Rochade spielt, vermutlich um evtl. Sg7 folgen zu lassen ... dazu kommt es dann nicht, dafür erfolgt die Rochade, weil er nicht weiß, wohin sonst mit dem König ... dann natürlich auch noch den f-Bauern vorzuschicken ist freilich komisch ... er sah wohl keine Gefahr, und es kann gut sein, dass er auf ein besseres Endspiel setzte ... nur es kam nicht zum Endspiel!
Ich muss sagen, dass es mir mit Weiß mulmig gewesen wäre, mit so einer Bauernstruktur (hängende Bauern im Zentrum) zu spielen ... immer wenn ich so was Ähnliches hatte, wurden die Bauern schwach und ich verlor ... dazu noch die schwachen Bauern am Damenflügel ... nur dass Schwarz das zu keinem Zeitpunkt wirklich ausnutzen konnte.
Ja, vom 23. Zug an ist das weiße Spiel bestechend, und natürlich der Grund, warum ich diese Partie überhaupt ausgewählt habe :-)
Danke für die Kommentare zum Kommentar :-)
Oli1970 - 16. Jul '19
Schöne Partie mit guter Kommentierung! Das Spiel sieht über weite Strecken scharf umkämpft aus, mit Möglichkeiten für beide Seiten trotz der recht lockeren Bauernstellung auf der Königsseite des Schwarzen. Dings Bauernaufbau wirkt ja auch nicht unbedingt kraftvoll.
Inarkiev wirkt um den 18., 19. Zug rum nicht gerade so, als hätte er einen großartigen Plan: Der Damenausfall mit Rückzug, dann der Tausch Läufer gegen Springer, ohne dass sich irgendwas daraus ergibt. Aber natürlich sagt sich sowas einfach dahin. Jedenfalls ist es schön anzusehen, wie Ding folgend den Königsangriff startet und die Stellung knackt. Lc2 ist dabei das Highlight der Partie. Ein wirklich feiner Zug!
Danke fürs Zeigen!
Inarkiev wirkt um den 18., 19. Zug rum nicht gerade so, als hätte er einen großartigen Plan: Der Damenausfall mit Rückzug, dann der Tausch Läufer gegen Springer, ohne dass sich irgendwas daraus ergibt. Aber natürlich sagt sich sowas einfach dahin. Jedenfalls ist es schön anzusehen, wie Ding folgend den Königsangriff startet und die Stellung knackt. Lc2 ist dabei das Highlight der Partie. Ein wirklich feiner Zug!
Danke fürs Zeigen!