Kommentierte Spiele
Große Partien ... (XXV): Marshall - Lasker 1925
Vabanque - 31. Mai '14
Das dritte Dutzend der Reihe 'Große Partien der Schachgeschichte' soll der ersten Hälfte des 20. Jh. gewidmet sein. Unter den großen Namen dieser Zeit werden Lasker, Capablanca, Aljechin, Rubinstein, Réti, Tartakower, Reshevsky und Botwinnik zu finden sein.
Emanuel Lasker ist länger Weltmeister gewesen als irgendein anderer. Und selbst als er - nach 27 Jahren - die Krone an Capablanca abgeben musste (was im Jahre 1921 der Fall war), spielte er noch viele Jahre weiter in großen Turnieren an der Spitze mit. Den amerikanischen Champion Frank Marshall, der selber in internationalen Turnieren stets auf vorderen Plätzen zu finden war, traf es gegen Lasker besonders hart. Zeitlebens konnte er gegen Lasker ganze 2 (von insgesamt 55 zwischen den beiden Kontrahenten ausgetragenen) Partien gewinnen, was natürlich nicht den Spielstärkeverhältnissen entsprach, sondern darauf zurückzuführen war, dass Lasker 'den Dreh raus hatte', wie man gegen Marshall spielen musste. (Gegen Janowski war es ähnlich.)
Die folgende Partie demonstriert wohl sehr gut Laskers Stil, der nicht in einer trockenen Verwertung positioneller Vorteile bestand, sondern mehr im Ergreifen von Gelegenheiten. (Aus diesem Grund kanzelte Fischer übrigens Lasker als 'Kaffeehausspieler, der keine Ahnung von Eröffnungen und noch weniger vom Positionsspiel hatte', ab.)
Ein englischer Kommentator schrieb über vorliegende Partie: 'Playing it over is like walking through a beautiful garden.' Nun, hiermit lade ich euch ein, mit mir durch diesen wunderschönen Garten zu schlendern, während ich mir ein paar Bemerkungen zu einzelnen Sehenswürdigkeiten (Zügen) erlaube.
[Übrigens kann ich diejenigen, welche Beiträge von mir und anderen in diesem Forum mit Minus bewerten, nur nachdrücklich dazu ermuntern, ihre Kritik offen zu legen. Denn ich möchte ja wissen, was ich in der Partieauswahl oder in den Kommentaren, oder in den einleitenden Texten besser machen kann. Bei der ganzen Mühe, die ich mir mit der Kommentierung jedes Mal mache, wäre mir so eine Kritik sogar sehr willkommen. Danke im Voraus.]































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Emanuel Lasker ist länger Weltmeister gewesen als irgendein anderer. Und selbst als er - nach 27 Jahren - die Krone an Capablanca abgeben musste (was im Jahre 1921 der Fall war), spielte er noch viele Jahre weiter in großen Turnieren an der Spitze mit. Den amerikanischen Champion Frank Marshall, der selber in internationalen Turnieren stets auf vorderen Plätzen zu finden war, traf es gegen Lasker besonders hart. Zeitlebens konnte er gegen Lasker ganze 2 (von insgesamt 55 zwischen den beiden Kontrahenten ausgetragenen) Partien gewinnen, was natürlich nicht den Spielstärkeverhältnissen entsprach, sondern darauf zurückzuführen war, dass Lasker 'den Dreh raus hatte', wie man gegen Marshall spielen musste. (Gegen Janowski war es ähnlich.)
Die folgende Partie demonstriert wohl sehr gut Laskers Stil, der nicht in einer trockenen Verwertung positioneller Vorteile bestand, sondern mehr im Ergreifen von Gelegenheiten. (Aus diesem Grund kanzelte Fischer übrigens Lasker als 'Kaffeehausspieler, der keine Ahnung von Eröffnungen und noch weniger vom Positionsspiel hatte', ab.)
Ein englischer Kommentator schrieb über vorliegende Partie: 'Playing it over is like walking through a beautiful garden.' Nun, hiermit lade ich euch ein, mit mir durch diesen wunderschönen Garten zu schlendern, während ich mir ein paar Bemerkungen zu einzelnen Sehenswürdigkeiten (Zügen) erlaube.
[Übrigens kann ich diejenigen, welche Beiträge von mir und anderen in diesem Forum mit Minus bewerten, nur nachdrücklich dazu ermuntern, ihre Kritik offen zu legen. Denn ich möchte ja wissen, was ich in der Partieauswahl oder in den Kommentaren, oder in den einleitenden Texten besser machen kann. Bei der ganzen Mühe, die ich mir mit der Kommentierung jedes Mal mache, wäre mir so eine Kritik sogar sehr willkommen. Danke im Voraus.]
Frank James Marshall Emanuel Lasker Moscow | Moscow URS | 14 | 1925.11.28 | D51 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Sbd7 So ganz nebenbei bemerkt, kann Weiß jetzt durch die Fesselung des Sf6 keinen Bauern auf d5 gewinnen, denn nach 5. cxd5 exd5 6. Sxd5 könnte Schwarz mit Sxd5! vorübergehend seine Dame opfern, um sie nach 7. Lxd8 mit Lb4+ sofort zurück zu erobern, letztlich mit Figurengewinn! 5. e3 c6 6. xd5 xd5 7. Ld3 Ld6 Ein ungewöhnlicher Zug. 'Normal' wäre Le7, was vermutlich auch damals schon bekannt war. Aber Lasker hat sich stets wenig um Eröffnungstheorie gekümmert (in seinem Lehrbuch 'Manual of Chess' sind auch nur ganz wenige Seiten der Eröffnung gewidmet), und sich statt dessen auf seine taktische Findigkeit im Mittelspiel verlassen. Die vorliegende Partie ist ein typisches Beispiel für den Triumph dieser Spielweise. 8. Sf3 O-O 9. Dc2 h6 10. Lh4 Te8 11. O-O Sf8 12. e4?! Typisch für den unternehmenden, aber ungeduldigen Marshall! Er versucht Angriff zu erlangen, erhält aber einen isolierten Bauern auf d4. Lasker demonstriert in der Folge sehr schön, dass dieser Bauer schwach wird. Logischer scheint es an dieser Stelle, entweder den später in Mode gekommenen 'Minoritätsangriff' (Vorstoß des b-Bauern bis b5) vorzubereiten, oder h3 zu spielen, um dem durch den letzten schwarzen Zug frei gemachten Lc8 das Feld g4 zu verwehren. xe4 13. Sxe4 Le7 14. Lxf6 Lxf6 15. Tfe1 Nun darf Schwarz natürlich nicht auf d4 nehmen, da es nach 15... Lxd4?? 16. Sxd4 Dxd4 17. Sf6+ dem ungedeckten Te8 an den Kragen ginge. Lg4 16. Sxf6+ Dxf6 17. Se5 Le6 Wegen des 'Isolanis' d4 findet der Läufer nun ein schönes Feld auf d5, da er dort ja nicht mehr von einem Bauern vertrieben werden kann. 18. Te3 Mit dem Aufrücken des Turms spielt Marshall weiter auf Angriff, aber Lasker reagiert cool. Ted8! Jetzt hängt der Bauer d4, und nach 19. Tf3 Dh4 würde sich der Druck auf den d-Bauern nur verschlimmern. 19. Dc3 Die mächtige Dame muss ein bescheidenes Bäuerlein decken - da kann es mit der weißen Stellung nicht gerade zum Besten stehen. Ld5 20. Le4 Natürlich darf Weiß den Läufer auf dem idealen Zentralfeld d5 nicht unbehelligt stehen lassen. Da Vertreibung wie gesagt unmöglich ist, soll er zumindest abgetauscht werden. Außerdem kann der Turm jetzt wieder das Feld f3 betreten. Se6 Jetzt kommt auch dieser scheinbar passive Springer wieder aktiv ins Spiel. Marshall unternimmt in der Folge keinen Versuch mehr, den Bauern d4 zu verteidigen, sondern strebt Figurenspiel an. 21. Tf3 Dh4 22. Lxd5 Txd5 Weiß kann sich nicht auf f7 bedienen, weder mit 23. Txf7? Txe5!, noch mit 23. Sxf7? Sxd4, jeweils mit Figurenverlust. 23. Te1 Sxd4 24. Tfe3 Tad8 Schwarz hat also glatt einen wertvollen Mittelbauern gewonnen, aber damit ist die Partie keineswegs uninteressant geworden. Weiß spielt in der Folge noch munter mit, und eine direkte Verwertung des schwarzen Mehrbauern wäre nur im Endspiel möglich, wo Schwarz letztlich auf der c-Linie einen Freibauern bilden könnte. Momentan ist er aber noch davon entfernt. 25. Te4 Df6 26. Sg4 Dg6 27. h3 Vorsichtshalber schafft sich Weiß ein Luftloch für seinen König, um etwaigen Grundreihenmatts präventiv aus dem Weg zu gehen, und deckt zugleich den Sg4, um damit seinen Te4 beweglich zu machen. Die Bauerngabel f7-f5 fürchtet er nicht wegen Se5. h5 28. Se5 Dd6 29. Sc4 Db8 Nach dieser vorsorglichen Deckung des b-Bauern könnte auf 30 Te7 nun einfach Sf5 erfolgen. 30. Se5 c5 Die erwähnte Bauernmehrheit setzt sich andeutungsweise in Bewegung; gleichzeitig wird der Sd4 unterstützt. 31. Dc1 Damit soll die Dame wohl die Möglichkeit erhalten, eventuell wieder zum Königsflügel zu schwenken. Dc7 32. b4 Nun ist es Weiß aber doch gelungen, die schwarze Bauernmehrheit zu schwächen. Schwarz kann weder schlagen noch vorrücken, also kommt es zum Abtausch. Und zwei gegen einen Bauern am Damenflügel sind nicht mehr so vielversprechend wie drei gegen zwei Bauern. Aber - die Entscheidung in dieser Partie wird nicht am Damenflügel fallen! Se6 Scheinbar kann Weiß nun mit 33. Sxf7 Dxf7 34. Txe6 seinen Bauern zurückgewinnen, aber mit Dxe6! 35. Txe6 Td1+ könnte Schwarz in ein Turmendspiel einlenken, wo er noch cxb4 spielt und dann wirklich eine massive Majorität am Damenflügel besitzt. Marshall sucht daher sein Heil in undurchsichtigen Verwicklungen. Aber Lasker war immer berühmt dafür, dass er auch noch so dubiose Verwicklungen stets besser meisterte als sein Gegner! 33. Da3 Td1 Um den a-Bauern muss sich Schwarz nicht kümmern, denn nach 34. Dxa7? wäre c4 jetzt möglich und stark. 34. xc5 Dxc5?! Sxc5 war sicherer. Lasker spielt mit dem Feuer. Der nächste Zug des Weißen greift f7, h5 und d1 an. 35. Df3 Sg5 Aber diese Gabel wird doch Marshall kaum übersehen haben? 36. Dxh5 Nein, natürlich nicht. Wenn Schwarz den Te4 nimmt, ist f7 wieder ungedeckt, und Weiß kann ein simples Dauerschach durch den Pendelverkehr der weißen Dame auf f7 und h5 erzielen. Gleichzeitig ist der Sg5 bedroht, und der Td1 hängt auch immer noch. Kann Schwarz überhaupt noch auf etwas Besseres als Remis hoffen? T8d2!? Lasker verkompliziert die ohnehin schon unübersichtliche Stellung noch weiter. In solchen Situationen fühlte er sich wie ein Fisch im Wasser! Es droht Dxf2+ nebst Dxg2#. Auf 37. Dxg5 (was g2 deckt) scheint Dxf2+ nebst Txe1 zu gewinnen. Möglicherweise hat Marshall dies auch geglaubt, aber es stimmt nicht. Nach 37. Dxg5! Dxf2+ 38. Kh2! Txe1 39. Txe1 darf Schwarz den fetten Bissen auf e1 nämlich gar nicht verzehren wegen 40. Sf3, und Weiß gewinnt den Td2 und steht plötzlich mit einer Mehrfigur da! (Darauf wies Bogoljubow bereits im Turnierbuch hin.) Schwarz hätte also 39... f6 einschalten müssen, worauf Weiß aber mit 40. Dg4 (um ein Damenschach auf f4 nicht zuzulassen) Dxe1 41. Dc8+ Kh7 42. Df5 Dauerschach auf den Feldern c8 und f5 hätte erzielen können. Da Marshall ähnlich versteckte Schwindelchancen in anderen Partien gesehen hat, erscheint es fast unverständlich, dass er diese Möglichkeit hier nicht bemerkte. Aber vielleicht hielt er seinen nächsten Zug ja für einfacher oder sogar noch stärker?! 37. Sd3? Auf den ersten Blick scheint dieser Zug ja wirklich sehr stark: er deckt f2 mit Tempo (Angriff auf die schwarze Dame) und macht zugleich die e-Linie für den Te4 frei, so dass ein tödliches Turmschach auf e8 droht. Scheinbar muss jetzt Schwarz mit 37... Txe1+ 38. Txe1 Dc8 39. Dxg5 Txd3 selber den Rettungsanker auswerfen. Sxe4! Aber diesen Zug hat Marshall offenbar völlig übersehen. Schwarz gibt die Dame mit günstigem Figurenspiel. Da nun die weiße Dh5 hängt, hat Weiß gar keine Wahl. 38. Sxc5 Txe1+ 39. Kh2 Sxf2 Nach 40. Sxb7?? Td3 würde jetzt schon tödlich Th1# drohen. 40. Df5 Deswegen versucht Weiß noch Dauerschach auf den Feldern c8 und f5 zu erreichen, denn nach h6 dürfte der schwarze König ja wegen Df4+ und Turmgewinn nicht. Te8! Aber Schwarz sichert erstmal seine Grundreihe, bevor er zum Schlussangriff übergeht. 41. Sxb7 Wahrscheinlich hoffte Weiß jetzt auf Txa2?, wonach er mit Sd6! wieder ans Ruder gekommen wäre. Sd1! Der Springer ist in diesser Partie bemerkenswert agil. Nun möchte er nach e3 gelangen, mit Doppeldrohung gegen g2 und f5. 42. Dc5 Te6 Nun kann der Turm (mit Ziel g6) wieder aufrücken, denn ein Dauerschach auf den Feldern c8 und f5 ist ja jetzt nicht mehr möglich. Alle schwarzen Figuren nehmen jetzt am Schlussangriff teil; Weiß ist verloren. 43. Dc1 Greift immerhin noch den Td2 an ... Se3 ... was Schwarz aber wegen der Gabel auf f1 schlichtweg ignorieren kann! 44. Dc8+ Das letzte Aufbäumen eines Sterbenden. Kh7 45. Dc3 Tg6! Laskers Spiel ist von gnadenloser Unerbittlichkeit. Er kann jetzt zwei seiner drei Figuren hängen lassen. 46. Dxe3 Bessere Züge sind nicht vorhanden. Txg2+ 47. Kh1 T2g3! Der letzte Streich; Weiß muss nun die Dame geben, um nicht matt zu werden, wonach das Endspiel ein Kinderspiel ist. 48. Dxg3 Txg3 Weiß gab auf. Trotz der beiderseitigen Unterlassungen eine hochinteressante, hochklassige, und - wie ich meine - unvergessliche Partie.
patzer0815 - 01. Jun '14
Gab es dafür zufällig einen Schönheitspreis?
In der heutigen Zeit werden die alten Meister von nicht wenigen Amatuerspielern gering geschätzt. Aber in vielen Partien sieht man dass diese Spieler alles andere als schwach gespielt haben.
In der heutigen Zeit werden die alten Meister von nicht wenigen Amatuerspielern gering geschätzt. Aber in vielen Partien sieht man dass diese Spieler alles andere als schwach gespielt haben.
Vabanque - 01. Jun '14
Die großen Spieler der Gegenwart dagegen empfehlen immer wieder gerade Amateurspielern das Studium der Partien der alten Meister.
Das mit dem Schönheitspreis weiß ich leider nicht, im Turnierbuch Moskau 1925 steht anscheinend gar nichts von Schönheitspreisen.
Das mit dem Schönheitspreis weiß ich leider nicht, im Turnierbuch Moskau 1925 steht anscheinend gar nichts von Schönheitspreisen.
Kellerdrache - 02. Jun '14
Man darf einfach nie vergessen, was wir heute als selbstverständliches Wissen erlernen (und nicht etwa durch unser überlegenes Genie selbst finden) wurde überwiegend von diesen alten Meistern gefunden und entwickelt.
Wer schon mal gesehen hat wie schwer sich allererste moderne Großmeister tun wenn sie Stellungen spielen müssen die sie nicht gewohnt sind (als Beispiel nur mal Karpov-Miles mit dem berüchtigten 1....a6) kann dann auch die kreativen Leistungen von Leuten wie Capablanca, Reti, Aljechin usw. richtig einschätzen.
Wer schon mal gesehen hat wie schwer sich allererste moderne Großmeister tun wenn sie Stellungen spielen müssen die sie nicht gewohnt sind (als Beispiel nur mal Karpov-Miles mit dem berüchtigten 1....a6) kann dann auch die kreativen Leistungen von Leuten wie Capablanca, Reti, Aljechin usw. richtig einschätzen.