Kommentierte Spiele
Spektakuläre Spielzüge (I): Morozevich - van Wely 2000
Vabanque - 27. Mär '16
Viele der Partien, die bei mir in die Vorauswahl zu einer meiner Serien geraten, bringe ich dann aus diversen Gründen doch nicht. Diese Partie hier schlummert auch schon längere Zeit in meinem Archiv, und ich habe immer geschwankt, ob ich sie hier wirklich zeigen soll, denn der 19. Zug von Weiß ist zwar absolut spektakulär (ein echter 'Knaller', wie man ihn selten sieht), aber der Schluss der Partie ist relativ prosaisch, was den insgesamten künstlerischen Eindruck dann doch ziemlich abschwächt.
Nun habe ich mich also entschlossen, die Partie dennoch zu zeigen. Typsich und lehrreich ist nämlich folgende Situation: Man bringt ein spektakuläres Opfer. Doch der Gegner ist gar nicht gezwungen, es anzunehmen. Und dann hat man das Problem, die Stellung nach der Ablehnung einschätzen zu müssen. Oft wird sogar vergessen, die Möglichkeit der Ablehnung in die Vorausberechnung überhaupt einzubeziehen (wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen kann). In folgender Partie führt die Ablehnung des Opfers zu einer Stellung, in der Schwarz zwar eine Mehrfigur behält, aber auch bei schlechter Entwicklung einen König in der Mitte, den er letztlich nicht verteidigen kann.































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Nun habe ich mich also entschlossen, die Partie dennoch zu zeigen. Typsich und lehrreich ist nämlich folgende Situation: Man bringt ein spektakuläres Opfer. Doch der Gegner ist gar nicht gezwungen, es anzunehmen. Und dann hat man das Problem, die Stellung nach der Ablehnung einschätzen zu müssen. Oft wird sogar vergessen, die Möglichkeit der Ablehnung in die Vorausberechnung überhaupt einzubeziehen (wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen kann). In folgender Partie führt die Ablehnung des Opfers zu einer Stellung, in der Schwarz zwar eine Mehrfigur behält, aber auch bei schlechter Entwicklung einen König in der Mitte, den er letztlich nicht verteidigen kann.
Alexander Morozevich Loek van Wely Corus | Wijk aan Zee NED | 6 | 2000.01.22 | B90 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 a6 6. Le3 e6 7. f3 b5 8. g4 Wie ein bekannter Kommentator (ich glaube, es war Stefan Kindermann) mal bemerkte, lautet die Frage im modernen Schach fast nicht mehr, ob der Zug g2-g4 kommen wird, sondern nur noch, wann er kommen wird. h6 9. Dd2 Sbd7 10. O-O-O Lb7 11. Ld3 Se5 12. The1 Tc8 13. Kb1 Sfd7 14. f4!? Sc4 Schwarz lehnt das Bauernopfer ab; es ist (mir) nicht ganz klar, wie Weiß nach 14... Sxg4 fortsetzen wollte, und ob er genügend Kompensation gehabt hätte. Aber 'Moro' wird schon gewusst haben, was er da tut - und sein Gegner van Wely ist ja auch nicht Irgendwer, also wird der wohl auch seine Gründe gehabt haben, hier nicht zuzugreifen. - Mit dem Textzug sichert sich Schwarz zumindest das Läuferpaar. 15. De2 In dieser Stellung ist es wichtiger, den weißfeldrigen Läufer zu behalten - zumindest zeigt das die Partiefortsetzung (andernfalls könnte ich hier kaum so schlaue Worte schreiben). Sxe3 16. Dxe3 g5?! Eigentlich ein bekanntes Motiv im Sizilianer, womit sich Schwarz das Feld e5 (vorzugsweise für seinen Springer) sichert. Strategisch ist gegen diese Idee nichts einzuwenden, aber sie scheitert an dem feinen taktischen Spiel Moros. 17. e5! Dies verliert doch sogar einen Bauern? xf4 18. Dxf4 xe5 Und dann auch noch diese Gabel? 19. Sxe6!! Der bei 17. e5 (oder vielleicht sogar schon bei 15. De2) geplante Coup. Die weiße Dame ist unantastbar wegen Sg7# oder Sc7# (jeweils mit Doppelabzugsschach!), und der weiße Springer ist tabu wegen Lg6+ nebst Df7#. Alles nicht schwer durchzurechnen - aber sehen muss man es, und zwar schon einige Züge vorher. Und - wie ich bereits in der Einleitung schrieb - man muss leider auch sehen, dass Schwarz das Opfer so ablehnen kann, dass er es einen Zug später doch annimmt, mit schwer zu beurteiltenden Folgen. De7! 20. Dd2 xe6 21. Lg6+ Kd8 22. Tf1 Nun hat Schwarz also doch eine Figur gewonnen, aber bei wenig beneidenswerter Stellung. Sein König muss den Rest seines Daseins in der Mitte fristen, und Weiß dringt mit seinem Turm auf die 7. Reihe ein, wodurch momentan der Sd7 unmittelbar bedroht ist. Txc3 Mit der eigentlich richtigen Idee, auf d5 einen Stützpunkt für den schwarzen Läufer zu schaffen. Merkwürdigerweise führt Schwarz diese Idee dann aber nicht durch. 23. Dxc3 Dc5 24. Tf7 Lc8?? Hier wäre wie schon erwähnt Ld5 richtig gewesen, wonach Schwarz noch Widerstand hätte leisten können. Vielleicht störte ihn, dass dann nach Da5+ der Bauer a6 verloren geht. Was jetzt folgt, dürfte ihn aber letztlich noch viel mehr gestört haben ... 25. Dd2 Schon wieder wird der unglückliche gefesselte Sd7 zum Angriffsobjekt. Da7 26. g5! In solchen Stellungen kann man eigentlich nicht genug Linien und Diagonalen öffnen. b4 27. xh6 Lxh6 28. Dxb4 Jetzt droht auch noch De7+ Lg5 29. Dg4 Und schon streckte Schwarz die Waffen. Wohin der Lg5 auch geht - es folgt Dxe6, und die schwarze Stellung bricht schnell zusammen. Ein - vor allem durch die mit 17. e5! und 19. Sxe6!! eingeleitete Kombination - eindrucksvoller Sieg Moros, dem leider der abschließende Knalleffekt fehlt. Aber so ist es häufig in modernen GM-Partien - der Verlierer gibt so früh auf, dass es für den Durchschnittsspieler kaum nachvollziehbar ist.
Kellerdrache - 28. Mär '16
Eine Super-Partie! Zwar endet sie nicht mit dem spektakulären Opfer und es gehört noch ein wenig Königsangriff 1x1 dazu den Punkt einzufahren, aber alles in allem rundherum lehrreich und unterhaltend. Vor allem wie der König in die entscheidende Fesselung hineingetrieben wurde hat mir sehr gefallen.
Es würde mich mal interessieren wer von den Chessmailern bei der Endstellung noch weitergespielt hätte. Ich jedenfalls nicht! Man findet kein sicheres Feld für den Läufer, der Druck auf den Springer ist nicht aufzulösen und man verliert vermutlich noch beide e-Bauern.
Es würde mich mal interessieren wer von den Chessmailern bei der Endstellung noch weitergespielt hätte. Ich jedenfalls nicht! Man findet kein sicheres Feld für den Läufer, der Druck auf den Springer ist nicht aufzulösen und man verliert vermutlich noch beide e-Bauern.
Vabanque - 30. Mär '16
Ich habe generell den Eindruck, dass Partien der Gegenwart (dazu zähle ich grob alle Partien, die nicht älter als 20-25 Jahre sind) hier viel schlechter ankommen als historische Partien. Ich kann mir vorstellen, dass das daran liegt, dass die meisten Durchschnittspieler (zu denen ich mich aber auch noch rechne) da gleich von vornherein sagen, dass sie die Partie nicht verstehen werden, weil diese neueren Partien viel komplizierter sind als die alten. Vom generellen Trend ist das sicher richtig, und viele Schachlehrer empfehlen ja auch, erstmal Morphy zu studieren, dann Tarrasch, dann Capablanca etc. ... auf der anderen Seite gab es vor knapp 100 Jahren auch schon Partien, die so kompliziert sind, dass man sie eigentlich heute noch nicht verstehen kann. Dazu zählen für mich vor allem einige Partien von Lasker, Aljechin und auch Réti. Umgekehrt gibt es Partien von aktuellen Spielern, die ich gut nachvollziehen kann, natürlich nicht in der ganzen Tiefe, aber zumindest soweit, dass ich beim Nachspielen nicht völlig im Dunkeln tappe. Und solche bringe ich hier hauptsächlich. Da dürfen sich meine Leser durchaus mal rantrauen. Qualitativ sehe ich da keine großen Unterschiede zwischen den (Top-) Partien von heute und denen vor 100 Jahren, auch wenn die einen behaupten, die heutigen Partien seien viel perfekter, während andere behaupten, die heutigen Top-Spieler könnten einem Capablanca oder Aljechin nicht das Wasser reichen. Beide Auffassungen sind in meinen Augen Unsinn. So etwa ab Lasker und Tarrasch wurde Schach gespielt, das auch noch nach heutigen Maßstäbe auf Top-Niveau ist. Das heutige Schach sieht etwas anders aus, ist aber weder besser noch schlechter als das damalige.
Kellerdrache - 31. Mär '16
Wer heute Schach spielt hat ganz einfach einen enormen Wissensvorsprung vor Spielern aus der Zeit Aljechins und Capablanca. Zu einem großen Teil handelt es sich dabei um Erkentnisse die die alten Meister erforscht haben. Wer z.B. einen Capablanca unterschätzt sollte nur mal daran denken, dass seine am Brett gefundenen Antworten gegen den Marschall-Angriff im Spanier heute noch als eine der besten Varianten gelten. Ein großer Vorteil heutiger Spieler ist auch die viel größere Anzahl an Turnieren wo der Interessierte Routine und Technik erlernen kann. Capablanca müsste heutzutage sicher ein bisschen mehr Arbeit in Eröffnungstheorie und dergleichen investieren aber mit seinem traumhaften Stellungsgefühl würde er auch heute mithalten können.
Umgekehrt hat die ungeheure Informationsflut auch negative Folgen auf den modernen Schachspieler. Mann kann, ohne sich allzu viele eigene Gedanken zu machen aus hunderten Beispielpartien lernen wie man eine Fianchettostellung angreift oder einen Isolani belagert. Das führt dann zu vielen technisch perfekten aber auch phantasielosen Partien. Doch auch hier ist es so, dass Spieler wie Morozevich mit ihrer reichen Phantasie und schachlichen Kreativität auch in einer Zeit ohne massenhaft angehäuftes Wissen ganz oben mithalten könnten.
Umgekehrt hat die ungeheure Informationsflut auch negative Folgen auf den modernen Schachspieler. Mann kann, ohne sich allzu viele eigene Gedanken zu machen aus hunderten Beispielpartien lernen wie man eine Fianchettostellung angreift oder einen Isolani belagert. Das führt dann zu vielen technisch perfekten aber auch phantasielosen Partien. Doch auch hier ist es so, dass Spieler wie Morozevich mit ihrer reichen Phantasie und schachlichen Kreativität auch in einer Zeit ohne massenhaft angehäuftes Wissen ganz oben mithalten könnten.
Vabanque - 01. Apr '16
Angeblich haben sich ja Lasker, Capablanca und Reshevsky nie mit Eröffnungstheorie beschäftigt, und trotzdem immer ganz oben an der Weltspitze mithalten können. Heute ginge das so wohl nicht mehr, aber wenn diese Leute heute leben würden, und sich überwinden könnten, sich mit den modernen Eröffnungen zu befassen, wären sie sicher ganz genauso vorn dabei wie damals.
Morozevich, Shirov und Ivanchuk wären in früheren Zeiten sicher sogar noch weiter oben in der Weltrangliste gewesen als sie heute sind. Heute werden solche kreativen Spieler leider von den 'technischen Langweilern' (die im Bewusstsein der Schachöffentlichkeit nie wirklich einen Namen haben werden) in der Rangliste überholt. Eine Ausnahme ist da Aronian, der immer ganz weit vorne in der Rangliste mithält, und gleichzeitig hochinteressantes kreatives Schach spielt. Caruana, Mamedyarov, Radjabov und Topalov kann man zu einem gewissen Grad vielleicht auch noch in diese Kategorie einreihen. Die (wie in allen Disziplinen) überhand nehmenden Asiaten kann ich in dieser Beziehung allerdings genauso wenig schätzen wie in der Musik; genauso wie etwa ein Lang Lang als Pianist sicherlich technisch untadelig ist, aber niemals in die emotionale Tiefe der Musik so eindringt wie ein europäischer oder gar russischer Pianist, so können chinesische GMs sicherlich superstarkes Schach spielen, aber selten eines, das mir nach ästhetischen Gesichtspunkten so zusagt, dass ich eine Partie so eines Spielers hier in eine meiner Reihen bringen würde.
Wobei ich zugeben muss, dass ich mich mit Partien asiatischer Spieler höchstens marginal beschäftigt habe, als in gewisser Weise voreingenommen bin. Ich habe auch noch nie eine Partie eines afrikanischen GM nachgespielt, wobei ich ausdrücklich betone, dass ich KEIN Rassist bin (Im Gegenteil, alle Afrikaner, die ich bisher kennen gelernt habe, waren ganz tolle Menschen ... was aber natürlich mit der schachlichen Leistungsfähigkeit nichts zu tun hat).
Morozevich, Shirov und Ivanchuk wären in früheren Zeiten sicher sogar noch weiter oben in der Weltrangliste gewesen als sie heute sind. Heute werden solche kreativen Spieler leider von den 'technischen Langweilern' (die im Bewusstsein der Schachöffentlichkeit nie wirklich einen Namen haben werden) in der Rangliste überholt. Eine Ausnahme ist da Aronian, der immer ganz weit vorne in der Rangliste mithält, und gleichzeitig hochinteressantes kreatives Schach spielt. Caruana, Mamedyarov, Radjabov und Topalov kann man zu einem gewissen Grad vielleicht auch noch in diese Kategorie einreihen. Die (wie in allen Disziplinen) überhand nehmenden Asiaten kann ich in dieser Beziehung allerdings genauso wenig schätzen wie in der Musik; genauso wie etwa ein Lang Lang als Pianist sicherlich technisch untadelig ist, aber niemals in die emotionale Tiefe der Musik so eindringt wie ein europäischer oder gar russischer Pianist, so können chinesische GMs sicherlich superstarkes Schach spielen, aber selten eines, das mir nach ästhetischen Gesichtspunkten so zusagt, dass ich eine Partie so eines Spielers hier in eine meiner Reihen bringen würde.
Wobei ich zugeben muss, dass ich mich mit Partien asiatischer Spieler höchstens marginal beschäftigt habe, als in gewisser Weise voreingenommen bin. Ich habe auch noch nie eine Partie eines afrikanischen GM nachgespielt, wobei ich ausdrücklich betone, dass ich KEIN Rassist bin (Im Gegenteil, alle Afrikaner, die ich bisher kennen gelernt habe, waren ganz tolle Menschen ... was aber natürlich mit der schachlichen Leistungsfähigkeit nichts zu tun hat).