Kommentierte Spiele

Glanzpartien unbekannter Spieler (XVI)

Vabanque - 30. Apr '14
Der 1954 in Schleswig-Holstein geborene Rene Gralla ist
von Beruf Anwalt, arbeitet aber auch als Journalist
über Reisen, Pop/Rock, und schachliche
Themen. Er setzt sich insbesondere auch für die
Popularisierung asiatischer Schach-Arten wie XiangQi
und Shogi ein. In seiner Jugend nahm er erfolgreich an
regionalen Schachmeisterschaften teil; später spielte
er hauptsächlich noch freie Partien, auch gegen Promis
wie Felix Magath, der sich VOR seinen Partien gegen
Gralla selber für einen starken Schachspieler hielt ;)

Die folgende Partie spielte Gralla vor einigen Jahren
als Freiluftschach im Hamburger Park Planten un Blomen.
Obwohl die Partie als solche auf keinem sehr hohen
Niveau ist, da Gralla es hier offenbar mit einem Gegner
mäßiger Spielstärke zu tun hatte, finde ich die
Schlusskombination doch äußerst bemerkenswert und
ästhetisch.

Alf Ertelt Rene Gralla Planten un Blomen, Open Air Casual 2011 | Hamburg, Germany | 2011.07.03 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc3 Lb4 4. Dc2 Lxc3+?! Eigentlich ist dieser Abtausch hier verfrüht, aber da Weiß in der Folge schematische Entwicklungszüge ohne eigentlichen Plan spielt, wirkt sich dieser Umstand nicht aus. 5. xc3 b6 6. Sf3?! Hier war doch das energische e2-e4 möglich. Lb7 In der Folge hat Schwarz den Punkt e4 fest in der Hand. 7. e3 Se4 8. Ld3 f5 9. La3 Der 'schlechte', also von der eigenen Bauernkette eingeschlossene Läufer soll bessere Perspektiven erhalten. d6 10. O-O O-O 11. c5!? Gar keine so schlechte Idee. Weiß strebt mit diesem Bauernopfer Öffnung von Linien bzw. Diagonalen am Damenflügel zwecks Gegenspiel an, z.B. dxc5 Se5, oder bxc5 Tab1. Aber Schwarz lässt sich darauf nicht ein. Er ist auf eine konsequente und schnelle Attacke am Königsflügel aus. Tf6 12. xd6 xd6 13. c4 Tg6 Ähnlich wie in der Partie Boleslavsky-Ufimtsev wird das Spiel gegen den Punkt g2 verfolgt: Turm auf der g- Linien plus Läufer auf der langen Diagonalen. 14. Tad1?? Dieser 'normale Entwicklungszug' stellt die Partie auf der Stelle ein. Weiß konnte sich gut mit g2 -g3 verteidigen. Sd2!! Na, wenn das kein Glanzzug ist! Schwarz stellt den Springer auf ein scheinbar 3fach gedecktes Feld. Der Sinn ist natürlich die Öffnung der Diagonalen des Lb7 gegen g2. Schlägt Weiß nun mit 15. Sxd2, kommt ein Matt in 3 durch Txg2+ 16. Kh1 Tg1++ (Doppelschach!) 17. Kxg1 Dg5# - eine Wendung, die man sich gut merken sollte! 15. Dxd2 Aber dieses Schlagen ist nicht besser, wie sich gleich zeigt. Haargenau auf dieselbe Art und Weise würde Txd2 verlieren, und wenn Weiß 15. Se1 versucht, dann kann Schwarz mit Lxg2! 16. Sxg2 Dg5 sofort ein Ende machen. Weiß kann also hier nur noch zwischen der Art und Weise der Exekution wählen! Txg2+!! Die hübsche Pointe. Der weiße König wird in die Diagonale des Lb7 gezwungen, so dass der Sf3 gefesselt ist. 16. Kxg2 Nach Kh1 Lxf3 ist natürlich auch alles aus. Dg5+ Die Pointe der Pointe. Wieder hat Weiß die Wahl: auf Kh1 folgt Lxf3 matt, und auf Kh3 folgt Dg4 matt. Er wählte indessen die dritte (und klügste) Option, nämlich die Kapitulation.
PGN anzeigen[Event "Planten un Blomen, Open Air Casual 2011"]
[Site "Hamburg, Germany"]
[Date "2011.07.03"]
[Result "0-1"]
[White "Alf Ertelt"]
[Black "Rene Gralla"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 Bb4 4. Qc2

Bxc3+?! {Eigentlich ist dieser Abtausch hier verfrüht,

aber da Weiß in der Folge schematische Entwicklungszüge

ohne eigentlichen Plan spielt, wirkt sich dieser

Umstand nicht aus.} 5. bxc3 b6 6. Nf3?! {Hier war doch

das energische e2-e4 möglich.} Bb7 {In der Folge hat

Schwarz den Punkt e4 fest in der Hand.} 7. e3 Ne4 8.
Bd3 f5 9. Ba3 {Der 'schlechte', also von der eigenen

Bauernkette eingeschlossene Läufer soll bessere

Perspektiven erhalten.} d6 10. O-O O-O 11. c5!? {Gar

keine so schlechte Idee. Weiß strebt mit diesem

Bauernopfer Öffnung von Linien bzw. Diagonalen am

Damenflügel zwecks Gegenspiel an, z.B. dxc5 Se5, oder

bxc5 Tab1. Aber Schwarz lässt sich darauf nicht ein. Er

ist auf eine konsequente und schnelle Attacke am

Königsflügel aus.} Rf6 12. cxd6 cxd6 13. c4 Rg6

{Ähnlich wie in der Partie Boleslavsky-Ufimtsev wird

das Spiel gegen den Punkt g2 verfolgt: Turm auf der g-

Linien plus Läufer auf der langen Diagonalen.} 14.

Rad1?? {Dieser 'normale Entwicklungszug' stellt die

Partie auf der Stelle ein. Weiß konnte sich gut mit g2

-g3 verteidigen.} Nd2!! {Na, wenn das kein Glanzzug

ist! Schwarz stellt den Springer auf ein scheinbar

3fach gedecktes Feld. Der Sinn ist natürlich die

Öffnung der Diagonalen des Lb7 gegen g2. Schlägt Weiß

nun mit 15. Sxd2, kommt ein Matt in 3 durch Txg2+ 16.

Kh1 Tg1++ (Doppelschach!) 17. Kxg1 Dg5# - eine Wendung,

die man sich gut merken sollte!}
15. Qxd2 {Aber dieses Schlagen ist nicht besser, wie

sich gleich zeigt. Haargenau auf dieselbe Art und Weise

würde Txd2 verlieren, und wenn Weiß 15. Se1 versucht,

dann kann Schwarz mit Lxg2! 16. Sxg2 Dg5 sofort ein

Ende machen. Weiß kann also hier nur noch zwischen der

Art und Weise der Exekution wählen!} 15...
Rxg2+!! {Die hübsche Pointe. Der weiße König wird in

die Diagonale des Lb7 gezwungen, so dass der Sf3

gefesselt ist.} 16. Kxg2 {Nach Kh1 Lxf3 ist natürlich

auch alles aus.} Qg5+ {Die Pointe der Pointe. Wieder

hat Weiß die Wahl: auf Kh1 folgt Lxf3 matt, und auf Kh3

folgt Dg4 matt. Er wählte indessen die dritte (und

klügste) Option, nämlich die Kapitulation.} 0-1

patzer0815 - 30. Apr '14
Wenn man die Partie Gates-Carlsen aus Maßstab nimmt war das sogar eine sehr hochklassige Partie.
Tarrasch sagte auch einmal, dass es gegen minderwertige Gegner keine minderwertigen Züge gibt. An sich merke ich schon auch, dass ich gegen schwere Jungs in der Regel besser spiele als gegen die nicht ganz so starken. Allerdings fällt es mir schwer freiwillig nicht den besten Zug zu spielen den ich im Rahmen der Möglichkeiten finden kann zu spielen, sondern recht spekulativ Varianten zu wählen, die nur funktionieren wenn mein Gegner mitspielt (Carlsen gegen Gates). Rene Gralla hat mit Ausnahme von 4. ... Lxc3+ sehr fein gespielt.
Vabanque - 30. Apr '14
Gralla war ja auch ziemlich gut, nur hat er sich Mitte der 70er Jahre entschieden, lieber die Energie in sein Jura-Studium (und die anschließende Promotion) zu investieren, als in Schach. Man kann nicht sagen, wie weit er im Schach gekommen wäre, wenn er es weiter verfolgt hätte, aber ich denke, er hat richtig gehandelt: Schach als Hobby und etwas Solides und Einträgliches als Beruf.

'Spekulative Varianten, die nur funktionieren, wenn der Gegner mitspielt' kann man natürlich als primitives Fallenspiel betreiben, oder aber auch auf höchstem Niveau, wie bei Tal, Bronstein oder gelegentlich sogar bei Aljechin oder Kasparov.
Kellerdrache - 01. Mai '14
Also so furchtbar schlecht ist die Variante ja nun auch nicht. Klar wenn Weiß verstanden hätte was sein Gegner da macht wer der Angriff natürlich nicht so flott durchgedrungen aber auch nach optimalen Zügen steht Schwarz noch nicht schlecht. Allerhöchstens +=
Vabanque - 01. Mai '14
Bis zum 13. Zug war wohl alles noch innerhalb der Remisbreite, für beide Seiten, denke ich. Aber das was du schreibst, ist genau der Punkt, Weiß hat die Stellung bzw. den Plan des Gegners nicht verstanden, darum verlor er.
patzer0815 - 01. Mai '14
4. ... Lxc3+ ist natürlich kein großer Fehler, es als kleinen Fehler zu bezeichnen würden wohl auch nicht alle unterschreiben. Da ich nach allegmeinen Prinzipien spiele, finde ich den Zug (einen schönenen Läufer unbefragt abzutauschen) einfach nicht schön.
Vabanque - 02. Mai '14
In der Regel ist man zu diesem Abtausch sowieso gezwungen, sobald Weiß a3 spielt. Den Abtausch allerdings davor schon zu spielen, verschenkt ein Tempo, in meinen Augen. Nicht mehr und nicht weniger. Die Frage ist natürlich, ob Weiß dieses Tempo in diesem Stellungstyp überhaupt ausnutzen kann.