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Große Partien ... (XXII): Botwinnik - Portisch 1968

Vabanque - 10. Mai '14
Zu dem Zeitpunkt, als Exweltmeister Botwinnik diese Partie spielte, hatte er seine Karriere offziell eigentlich schon beendet. Vielleicht gerade deswegen geriet dieses Spiel zu einem der spektakulärsten seiner gesamten Laufbahn. Da die Partie in Monaco gespielt wurde, hat man sie als das 'Prunkstück von Monaco' bezeichnet. Wie Botwinnik einen ungedeckten 'Geisterturm' auf der 7. Reihe agieren lässt, ist wahrlich sehenswert.

Mikhail Botvinnik Lajos Portisch Monte Carlo | Monte Carlo MNC | 7 | 1968.04.10 | A22 | 1:0
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1. c4 e5 2. Sc3 Sf6 3. g3 d5 Dies ist zwar einer der Standardzüge an dieser Stelle, aber ob es für Schwarz wirklich klug ist, sich auf eine sizilianische Drachenvariante mit vertauschten Farben einzulassen, in der Weiß ein Mehrtempo besitzt, mag dahingestellt bleiben. 4. xd5 Sxd5 5. Lg2 Le6 6. Sf3 Sc6 7. O-O Sb6 8. d3 Le7 9. a3 Dies ist kein Verlegenheitszug, sondern Weiß plant damit eine Offensive am Damenflügel mit b2-b4-b5. a5 Daher wird dies von Schwarz verhindert. 10. Le3 O-O 11. Sa4!? Droht eine Zersplitterung der schwarzen Damenflügelbauern und strebt gleichzeitig nach c5. Sxa4?! Schwarz konnte beides leicht mit Sd5 durchkreuzen, wonach sich Weiß zwischen Lc5 und Ld2 entscheiden musste, denn 12. Sc5 wäre dann wegen Sxe3 13. Sxe6 Dd6! für Weiß unergiebig. So wie Schwarz in der Partie spielt, kommt Weiß zu fühlbarem Druck am Damenflügel. 12. Dxa4 Ld5 13. Tfc1 Te8 Das folgende Manöver von Schwarz dient dem Zweck, den e-Bauern noch einmal zu überdecken, und damit den Sc6 beweglich zu machen, so dass Schwarz auf der c-Linie (nach Wegzug des Sc6) mit c7-c6 ein Barriere errichten kann. Aber Schwarz kommt damit einen Zug zu spät. 14. Tc2 Lf8 15. Tac1 Sb8? Das ist der erwähnte Plan von Schwarz; er möchte im nächsten Zug mit c7-c6 ein Bollwerk gegen die weißen Türme aufbauen. Dabei steht er unter dem Eindruck, dass der weiße Turm nicht auf c7 nehmen kann, da er anschließend eingesperrt und verloren gehen würde. 16. Txc7!! Weiß lässt die Einsperrung seines Turms zu. Lc6 Nun hängen Tc7 und Da4. 17. Txc6! Das Qualitätsopfer ist jetzt natürlich erzwungen, aber Weiß opfert zu allem Überfluss auch noch so, dass der verbleibende Turm weiterhin auf der 7. Reihe angegriffen bleibt. xc6 Auf Sxc6 wäre bereits Txb7 stark. 18. Txf7!! Diesen Zug hatte Botwinnik offenbar schon bei 16. Txc7 geplant. Mit dumpfer Wucht schlägt das schwere Geschütz in die schwarze Königsburg ein und hinterlässt eine schmerzliche Lücke in der Absperrung. Schwarz kann nicht auf f7 zugreifen, denn nach 18... Kxf7 geschieht 19. Dc4+, und dann kann der schwarze König nicht nach e7 oder f6 wegen Lg5+ und Damenverlust; Schwarz kann aber auf Dc4+ auch nicht die Dame auf d5 dazwischensetzen wegen Sg5+ und ebenfalls Damenverlust (die Diagonale des Lg2 wurde ja aufgedeckt); den Turm kann Schwarz auch nicht gut auf e6 dazwischensetzen wegen Sg5+; und letztlich auf (19. Dc4+) Kg6 treibt Weiß den schwarzen König mit 20. Dg4+ Kf7 21. Sg5+ wieder nach Hause und setzt ihn dort matt: 21... Kg8 (Home, sweet home! Aber auf 21... Ke7 folgt De6#, und auf 21... Kf6 22. Df3+ wird es auch in wenigen Zügen matt) 22. Dc4+ (ein hübsches Rückkehrmotiv) Kh8, und es wird matt durch 23. Sf7+, 24. Sh6++ und 25. Dg8#. h6 Wahrscheinlich tatsächlich noch am besten; Schwarz versucht die weißen Leichtfiguren von g5 abzuhalten und gleichzeitig seinem König etwas Luft zu verschaffen. Nun droht Schwarz den Turm tatsächlich zu nehmen. 19. Tb7 Dc8 Schwarz spezialisiert sich weiter auf die Verfolgung des weißen Turms. 20. Dc4+ Kh8 Relativ am besten war De6, aber Weiß kann nach 21. Sxe5! Dxc4 22. Sxc4 die Damen ruhig tauschen lassen; mit 3 Bauern für die Qualität und der besseren Figurenstellung ist das Endspiel für ihn gewonnen. 21. Sh4! Und Weiß besteht weiter darauf, seinen Turm zu opfern! Natürlich ist es letzten Endes die Schwäche der weißen Felder in der Nähe des schwarzen Königs, die es ihm angetan hat. Der Springer strebt nach g6 und der Lg2 nach e4. So bezieht Weiß seine Leichtfiguren in den Angriff ein. Dxb7 Ein Sterbender darf alles essen! Trotzdem hätte hier De6 noch etwas besseren Widerstand geboten. Seien wir Portisch aber dankbar, dass er hier zugeschnappt hat, denn so werden wir Zeuge eines schnellen und hübschen Schlusses. 22. Sg6+ Kh7 23. Le4 Jetzt sitzt der schwarze König in der Klemme. Vor allem droht Se7+ nebst Dg8#. Ld6 Damit ist zumindest das Feld g8 gedeckt. 24. Sxe5+! Nun ist dies der effektivste Abzug, denn auf Kh8 könnte 25. Sf7+ Kg8 26. Sxd6+ mit Damengewinn erfolgen. g6 Also bleibt keine Wahl. 25. Lxg6+ Kg7 Auf Kh8 würde auch hier Sf7+ nebst Sxd6 ausreichen. 26. Lxh6+! Ein würdiger Schlusszug; die letzten Reste der Umzäunung werden mit einem kühnen Streich weggefegt, und wenn Schwarz Kxh6 schlägt, ist nach Dh4+ nebst Dh7+ die Dame auf b7 futsch. Aber nach h8 ausweichen kann Schwarz wieder wegen Sf7+ nicht, und auf 26... Kf6 gibt es ein Matt in 4 Zügen, das wir uns gleich noch anschauen: Kf6 27. Df4+ Ke6 Ke7 28. Lg5+ Ke6 29. Dc4+! Kxe5 30. d4# 28. Lf7+ Dxf7 Ke7 29. Dg5# 29. Dxf7+ Kxe5 30. Lg7# Aber Schwarz gab lieber schon nach 26. Lxh6+ auf, als sich auch nur eine dieser hübschen Varianten am Brett zeigen zu lassen. Eine der schönsten Partien der Schachgeschichte.
PGN anzeigen
[Event "Monte Carlo"]
[Site "Monte Carlo MNC"]
[Date "1968.04.10"]
[EventDate "1968.04.03"]
[Round "7"]
[Result "1-0"]
[White "Mikhail Botvinnik"]
[Black "Lajos Portisch"]
[ECO "A22"]


1. c4 e5 2. Nc3 Nf6 3. g3 d5 {Dies ist zwar einer der Standardzüge an dieser Stelle, aber ob es für Schwarz wirklich klug ist, sich auf eine sizilianische Drachenvariante mit vertauschten Farben einzulassen, in der Weiß ein Mehrtempo besitzt, mag dahingestellt bleiben.}4. cxd5 Nxd5 5. Bg2 Be6 6. Nf3 Nc6 7. O-O Nb6 8.
d3 Be7 9. a3 {Dies ist kein Verlegenheitszug, sondern Weiß plant damit eine Offensive am Damenflügel mit b2-b4-b5.} a5 {Daher wird dies von Schwarz verhindert.}10. Be3 O-O 11. Na4!? {Droht eine Zersplitterung der schwarzen Damenflügelbauern und strebt gleichzeitig nach c5.} Nxa4?! {Schwarz konnte beides leicht mit Sd5 durchkreuzen, wonach sich Weiß zwischen Lc5 und Ld2 entscheiden musste, denn 12. Sc5 wäre dann wegen Sxe3 13. Sxe6 Dd6! für Weiß unergiebig. So wie Schwarz in der Partie spielt, kommt Weiß zu fühlbarem Druck am Damenflügel.} 12. Qxa4 Bd5 13. Rfc1 Re8 {Das folgende Manöver von Schwarz dient dem Zweck, den e-Bauern noch einmal zu überdecken, und damit den Sc6 beweglich zu machen, so dass Schwarz auf der c-Linie (nach Wegzug des Sc6) mit c7-c6 ein Barriere errichten kann. Aber Schwarz kommt damit einen Zug zu spät.}
14. Rc2 Bf8 15. Rac1 Nb8? {Das ist der erwähnte Plan von Schwarz; er möchte im nächsten Zug mit c7-c6 ein Bollwerk gegen die weißen Türme aufbauen. Dabei steht er unter dem Eindruck, dass der weiße Turm nicht auf c7 nehmen kann, da er anschließend eingesperrt und verloren gehen würde.} 16. Rxc7!! {Weiß lässt die Einsperrung seines Turms zu.} Bc6 {Nun hängen Tc7 und Da4.} 17. R1xc6! {Das Qualitätsopfer ist jetzt natürlich erzwungen, aber Weiß opfert zu allem Überfluss auch noch so, dass der verbleibende Turm weiterhin auf der 7. Reihe angegriffen bleibt.} bxc6 {Auf Sxc6 wäre bereits Txb7 stark.} 18. Rxf7!! {Diesen Zug hatte Botwinnik offenbar schon bei 16. Txc7 geplant. Mit dumpfer Wucht schlägt das schwere Geschütz in die schwarze Königsburg ein und hinterlässt eine schmerzliche Lücke in der Absperrung. Schwarz kann nicht auf f7 zugreifen, denn nach 18... Kxf7 geschieht 19. Dc4+, und dann kann der schwarze König nicht nach e7 oder f6 wegen Lg5+ und Damenverlust; Schwarz kann aber auf Dc4+ auch nicht die Dame auf d5 dazwischensetzen wegen Sg5+ und ebenfalls Damenverlust (die Diagonale des Lg2 wurde ja aufgedeckt); den Turm kann Schwarz auch nicht gut auf e6 dazwischensetzen wegen Sg5+; und letztlich auf (19. Dc4+) Kg6 treibt Weiß den schwarzen König mit 20. Dg4+ Kf7 21. Sg5+ wieder nach Hause und setzt ihn dort matt: 21... Kg8 (Home, sweet home! Aber auf 21... Ke7 folgt De6#, und auf 21... Kf6 22. Df3+ wird es auch in wenigen Zügen matt) 22. Dc4+ (ein hübsches Rückkehrmotiv) Kh8, und es wird matt durch 23. Sf7+, 24. Sh6++ und 25. Dg8#.} h6 {Wahrscheinlich tatsächlich noch am besten; Schwarz versucht die weißen Leichtfiguren von g5 abzuhalten und gleichzeitig seinem König etwas Luft zu verschaffen. Nun droht Schwarz den Turm tatsächlich zu nehmen.} 19. Rb7 Qc8 {Schwarz spezialisiert sich weiter auf die Verfolgung des weißen Turms.} 20. Qc4+ Kh8 {Relativ am besten war De6, aber Weiß kann nach 21. Sxe5! Dxc4 22. Sxc4 die Damen ruhig tauschen lassen; mit 3 Bauern für die Qualität und der besseren Figurenstellung ist das Endspiel für ihn gewonnen.} 21. Nh4! {Und Weiß besteht weiter darauf, seinen Turm zu opfern! Natürlich ist es letzten Endes die Schwäche der weißen Felder in der Nähe des schwarzen Königs, die es ihm angetan hat. Der Springer strebt nach g6 und der Lg2 nach e4. So bezieht Weiß seine Leichtfiguren in den Angriff ein.} Qxb7 {Ein Sterbender darf alles essen! Trotzdem hätte hier De6 noch etwas besseren Widerstand geboten. Seien wir Portisch aber dankbar, dass er hier zugeschnappt hat, denn so werden wir Zeuge eines schnellen und hübschen Schlusses.} 22.
Ng6+ Kh7 23. Be4 {Jetzt sitzt der schwarze König in der Klemme. Vor allem droht Se7+ nebst Dg8#.} Bd6 {Damit ist zumindest das Feld g8 gedeckt.} 24. Nxe5+! {Nun ist dies der effektivste Abzug, denn auf Kh8 könnte 25. Sf7+ Kg8 26. Sxd6+ mit Damengewinn erfolgen.} g6 {Also bleibt keine Wahl.} 25. Bxg6+ Kg7 {Auf Kh8 würde auch hier Sf7+ nebst Sxd6 ausreichen.} 26. Bxh6+! {Ein würdiger Schlusszug; die letzten Reste der Umzäunung werden mit einem kühnen Streich weggefegt, und wenn Schwarz Kxh6 schlägt, ist nach Dh4+ nebst Dh7+ die Dame auf b7 futsch. Aber nach h8 ausweichen kann Schwarz wieder wegen Sf7+ nicht, und auf 26... Kf6 gibt es ein Matt in 4 Zügen, das wir uns gleich noch anschauen:} Kf6 27. Qf4+ Ke6 {Ke7 28. Lg5+ Ke6 29. Dc4+! Kxe5 30. d4#} 28. Bf7+ Qxf7 {Ke7 29. Dg5#} 29. Qxf7+ Kxe5 30.Bg7# {Aber Schwarz gab lieber schon nach 26. Lxh6+ auf, als sich auch nur eine dieser hübschen Varianten am Brett zeigen zu lassen. Eine der schönsten Partien der Schachgeschichte.} 1-0
cutter - 10. Mai '14
Wahnsinn! Eine echte Perle!
Danke.
Vabanque - 10. Mai '14
Ja, die alten Meister konnten schon etwas ... da brauchen die heutigen nicht die Nase zu rümpfen, bloß weil damals mehr Ungenauigkeiten vorkamen als heute ... die Leute aus den 60er Jahren hatten keinen Computer außer ihrem eigenen Hirn, sie mussten alles selber analysieren, im Schweiße ihres Angesichts ... sie haben vielleicht aus heutiger Sicht 'ungenau' gespielt, aber das hat sie nicht daran gehindert, großartige Kombinationen aus dem Hut zu zaubern :)
Kellerdrache - 11. Mai '14
Als durchschnittlicher Spieler (ok, unterer Durchschnitt) neigt man ja dazu immer den Teil des Brettes zu vergessen wo es gerade nicht rund geht. Sehr schön zu sehen wie Botvinnik quasi mit dem Fernrohr die Schwäche der schwarzen Königsstellung sieht.
Vielleicht ist die spielerische Technik heute im Schnitt besser, aber auch nur weil die alten Meister diese Fehler alle schon gefunden haben. Wie gut Carlsen oder Aronjan zurecht kämen wenn sie nicht auf Datenbanken und die gesammelte Erfahrung der alten Meister zurückgreifen könnten ist eine Frage die viel Raum zu Spekulationen läßt.
Vabanque - 11. Mai '14
Tendenziell gefallen mir die alten Partien besser, weil sie eben diesen 'handgemachten' Touch haben und noch nicht so 'technisch' waren.
Allerdings habe ich diese Reihe ja mit einigen aktuellen Partien begonnen, die ich herausragend finde (und es gibt auch noch andere), d.h. auch heute finden sich noch diese kreativen Leistungen. Die Kreativität setzt halt im Allgemeinen nicht mehr bei Zug 5 oder 10 ein, sondern erst bei Zug 20, was schade ist.
Insgesamt sind die heutigen Partien natürlich 'perfekter' gespielt, was aber nur an der allgemeinen Entwicklung des Schachwissens liegt, nicht etwa daran, dass die heutigen Meister größer wären.
Trotzdem glaube ich, Carlsen und Aronian etc. wären auch in früheren Zeiten herausragende Gestalten geworden.
Kellerdrache - 12. Mai '14
Oh, da habe ich auch keine großen Zweifel. Aber was ich mich frage ist ob sie unbedingt besser als Aljechin, Capablanca oder Lasker wären. Auch wenn die ELO-Zahlen immer höher werden werden die Spieler nicht unbedingt besser. Schlechter natürlich deswegen auch nicht.
Klar ist die Spekulation im Prinzip unergiebig, aber viele Fans des modernen Schachs (zu denen ich mich selbst auch zähle) sehen ja so ein wenig auf die alten Meister herab (was ich nicht tue). Ich zweifle halt nur an ob das gerechtfertigt ist.