Kommentierte Spiele
Bemerkenswerte Endspiele (X): Carlsen - Aronian 2007
Vabanque - 15. Jan '17
Auch wenn hier die Karjakin-Fans zu überwiegen scheinen, wage ich trotzdem mal wieder einen Carlsen-Sieg zu bringen, erstens wegen der Schönheit der Partie, und zweitens, weil Carlsen für mich (trotz des nicht ganz so überzeugenden WM-Kampfes) immer noch der größte derzeit aktive Spieler ist.
In der folgenden Partie bewies Carlsen als 16jähriger, dass er bereits damals in der Lage war, einen Top-Gegner wie Aronian im Endspiel mit tief durchdachten Manövern an die Wand zu spielen. Mir ist nicht einmal von den großen Endspielkünstlern der Vergangenheit, wie Rubinstein, Capablanca, Smyslov, Petrosjan, Fischer und Karpov (um nur einige zu nennen) eine vergleichbar reife Endspielleistung in so jungen Jahren bekannt.
Natürlich habe ich die Feinheiten dieses komplizierten und inhaltsreichen Endspiels in meinen Anmerkungen bei weitem nicht ausschöpfen können; ich habe mich jedoch wie immer bemüht, die wesentlichen Pläne und Ideen klar werden zu lassen und die m.M. zum Verständnis unbedingt nötigen Varianten angeführt. Der Thematik der Reihe entsprechend, habe ich die Eröffnung und das (hier sehr kurze) Mittelspiel nur spärlich kommentiert. Für Eilige reicht es durchaus, die Partie ab dem 21. Zug nachzuspielen.































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In der folgenden Partie bewies Carlsen als 16jähriger, dass er bereits damals in der Lage war, einen Top-Gegner wie Aronian im Endspiel mit tief durchdachten Manövern an die Wand zu spielen. Mir ist nicht einmal von den großen Endspielkünstlern der Vergangenheit, wie Rubinstein, Capablanca, Smyslov, Petrosjan, Fischer und Karpov (um nur einige zu nennen) eine vergleichbar reife Endspielleistung in so jungen Jahren bekannt.
Natürlich habe ich die Feinheiten dieses komplizierten und inhaltsreichen Endspiels in meinen Anmerkungen bei weitem nicht ausschöpfen können; ich habe mich jedoch wie immer bemüht, die wesentlichen Pläne und Ideen klar werden zu lassen und die m.M. zum Verständnis unbedingt nötigen Varianten angeführt. Der Thematik der Reihe entsprechend, habe ich die Eröffnung und das (hier sehr kurze) Mittelspiel nur spärlich kommentiert. Für Eilige reicht es durchaus, die Partie ab dem 21. Zug nachzuspielen.
Magnus Carlsen Levon Aronian FIDE candidates Matches | Elista, Kalmykia Russia | 3 | 2007.05.29 | A30 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. Sf3 Sf6 2. c4 b6 3. g3 c5 4. Lg2 Lb7 5. O-O e6 6. Sc3 Le7 7. Te1 Üblich sind auch die Züge d4 oder b3. Aber Carlsen steuert auf e2-e4 los. d5 8. xd5 Sxd5 Aronian will offenbar den nach 8... exd5 9. d4 entstehenden Isolani auf d5 vermeiden. 9. d4 Nun ist das Englisch in eine Art Damenindisch übergegangen. Sxc3 10. xc3 Le4 Erschwert den Vorstoß e2-e4. 11. Se5 Lxg2 12. Kxg2 O-O 13. e4 Auf Kosten des Abtausches seines Fianchettoläufers hat Carlsen diesen Vorstoß nun dennoch durchgesetzt. Dc8 Um Sc6 vorzubereiten ... 14. Dg4 Lf6?! ... was Aronian aber merkwürdigerweise dann doch nicht spielt! 15. Sf3 Kh8 Jetzt ging Sc6 nicht wegen e5 nebst Lh6. Also schaltet Aronian erstmal die Möglichkeit Lh6 aus. 16. h4! Vorbereitung für den nächsten weißen Zug. Sc6 17. Lg5! Denn jetzt kann Schwarz nicht auf g5 tauschen, ohne dass sich in gefährlicher Weise die h-Linie öffnen würde. xd4 18. Lxf6 xf6 19. xd4?! e5 Nach dem damit angebotenen Damentausch erhält Weiß einen gedeckten Freibauern auf d5, den Schwarz aber mit seinem Springer zunächst gut blockieren kann. 20. Dxc8 Txc8 21. d5 Sa5 Der Springer strebt über c4 nach dem Blockadefeld d6. 22. h5! Ab jetzt behandelt der damals 16-jährige Carlsen das Endspiel mit vollendeter Meisterschaft. Dem h-Bauern wird bald eine sehr wichtige Rolle zukommen. Sc4 23. Sh4! Der Springer soll zum geeigneten Zeitpunkt die Blockade auf d6 durch Abtausch beseitigen. Sd6 24. h6! Aber zuerst verschafft Carlsen dem schwarzen Chef ein Engegefühl am Hals. Dadurch werden später Mattdrohungen auf der Grundreihe auftauchen, und - obwohl an dieser Stelle kaum zu glauben - schließlich wird der h-Bauer zum Freibauern avancieren! Tc3 Aronian benutzt die scheinbar günstige Gelegenheit, sich Kontrolle über die c-Linie zu verschaffen. Allerdings hätte zu diesem Zweck Tc4, das zugleich e4 angreift, dem Weißen größere Probleme gestellt. 25. Tac1 Tfc8 26. Txc3 Txc3 Vermutlich war Aronian hier mit seiner Stellung zumindest einigermaßen zufrieden - er hat einen aktiven Turm auf einer offenen Linie, eine bewegliche Bauernmehrheit am (vom weißen König) 'entfernten' Flügel (mit der Möglichkeit, einen Freibauern auf der b-Linie zu bilden), und sein König kann der momentanen Einengung durch den weißen h-Bauern doch durch einen Spaziergang ins Zentrum leicht entkommen. So könnte man meinen. Leider ist es im Schach oft so, dass man scheinbar strategisch 'lehrbuchmäßig' alles richtig gemacht hat, und man doch verliert, weil die Stellung gegen einen ist. 27. Sf5!! Genau im richtigen Moment tauscht Carlsen den Blockadespringer. Aber mit welchem Plan? (Hätte Aronian übrigens im 24. Zug Tc4 gespielt, wäre Sf5 an dieser Stelle nicht so gut gewesen wegen der Antwort Sxe4. Weiß hätte dann vermutlich am besten mit Kf3 fortgesetzt, was jetzt wiederum der schwarze Turm auf c3 verhindert.) Sxf5 28. xf5 Kg8 29. Te4! Dieses Feld ist für den weißen Turm durch den Springertausch frei geworden. Der weiße Turm strebt nach g4! Kf8 Der schwarze König setzt seine Reise ins Zentrum fort. Zu seinem - bzw. Aronians - Unglück wird er aber bald wieder umkehren müssen. 30. Tg4 Tc7 31. Tg7 b5 Die schon erwähnte Bauernmehrheit soll nun zum Gegenspiel eingesetzt werden. 32. Txh7 Kg8 Der unglückliche schwarze König muss wieder umkehren, da Weiß sonst Th8+ nebst h7 spielt, und Schwarz die Verwandlung dieses Bauern nicht mehr verhindern könnte! 33. Tg7+ Kh8 34. d6 Td7 35. Kf3 Die Stunde zum Eingreifen des weißen Königs ist gekommen. b4 36. Ke4! Nun aber zwingt Weiß den Schwarzen zum Schlagen auf d6, da sonst Kd5 nebst Kc6 den Bauern unterstützt! Txd6 37. Txf7 Ta6 38. g4! Seine Figurenstellung kann Carlsen hier nicht mehr verbessern, also müssen die Reserven der Infanterie eingreifen. Weiß wird nun seinen f-Bauern ebenfalls freikämpfen. Kg8
Das Schlagen auf a2 bringt Schwarz keine Freude: Txa2 39. Txf6 b3 40. g5 b2 der Bauer wirkt nur optisch gefährlich 41. Tf8+ Kh7 42. Tf7+ auch sofortiges Tb8 gewinnt, aber es ist immer gut, den gegnerischen König vorher noch am Rand einzusperren Kg8 43. Tg7+ nebst Tb7, was den schwarzen Bauern aufhält, wonach die weißen Bauern laufen.
39. h7+ zwingt den schwarzen König erneut in die Todesecke Kh8 40. g5! Der muss genommen werden, denn g6 mit der Drohung Tf8+ darf Schwarz nicht zulassen. xg5 41. f6! Und nun dämmerte es Aronian, dass Weiß ganz einfach mit der Königswanderung nach g6 gewinnt, die Schwarz nicht verhindern kann und wonach Matt auf f8 droht, was wiederum den schwarzen Turm an die Grundreihe binden wird, z.B. 41. f6 Txa2
die sofortige Rückführung des schwarzen Turms auf die Grundreihe erreicht auch nichts anderes: Tb6 42. Kf5 a5 43. Kg6 Tb8 44. Te7 nebst f7
42. Kf5 Tc2 43. Kg6 Tc8 44. Te7 b3 45. f7 droht Te8+ Tc6+ 46. Kxg5 und Schwarz kann die Umwandlung des f-Bauern nicht mehr verhindern (Kg7 47. h8=D+ nebst f8=D#). - Die Schlussphase mit der eindrucksvollen Zusammenarbeit von Turm, König und Freibauer erinnert an Capablancas berühmten Sieg über Tartakower aus dem New Yorker Turnier 1924, und das ist eigentlich das höchste Lob, das man Carlsen für diese Partie ausstellen kann.
Kellerdrache - 15. Jan '17
Eine sehr schöne Partie die ich bereits kannte, aber wieder vergessen hatte. Vor allem wie Carlsen den König zu Beginn des Endspiels von der Teilnahme am Geschehen ausgesperrt hat war sehr instruktiv. Sehr oft bei Endspielen gewinnt ja die Seite deren König aktiver am Spiel teilnimmt. Wirklich sehr erwachsen vom jungen Carlsen gespielt. Ich selber hab in dem Alter noch reines Taktikschach auf niedrigem Niveau gespielt und wollte von Position nichts hören. Endspiel gar hielt ich vermutlich für ein unanständiges Schimpfwort.
Vabanque - 15. Jan '17
Carlsen begann ebenfalls als Taktiker. Aber er entwickelte halt frühzeitig diesen Universalstil, der mich besonders an Capablanca und Smyslov erinnert, teils auch an Fischer.